Zwischen Mulch und Flamingoblumen

Vorsichtig kippt Alex die Ladeschaufel des Traktors. Wenn sie etwa hüfthoch und waagerecht steht, ist es einfacher für Sotaro, Arnya und mich, den Mulch aus der Schaufel in unsere Eimer zu ziehen. Zu Fuß tragen wir das Gemisch aus Erde, halb verrotteten Ästen und Rinde durch die langen Reihen der Flamingoblumen, die in erhöhten Blumenbeeten unter schwarzen Netzen und Palmen wachsen.

Bei jedem Schritt stößt der Eimer an meinen Hüftknochen, sinke ich im Matsch ein. Es ist heiß und es riecht nach Erde. Nach frischer Morgenluft. Die Sonne steht noch tief am Himmel. Weil es später noch heißer wird, müssen wir nur von 7 bis 10 Uhr arbeiten. Den Rest des Tages haben wir frei. Dem Blumenhändler Henning Olsen ist es wichtig, die Wwoofer, die zu ihm kommen, fair zu behandeln. Da wir kein Gehalt, sondern nur Kost und Logis von ihm bekommen, soll die Arbeit nicht zu anstrengend sein. Seine Farm zwölf Kilometer außerhalb Darwins, der Hauptstadt des Northern Territorys, haben wir über die Plattform Wwoof Australia gefunden.

Mit Schwung leere ich meinen Eimer über einem der Beete aus. Gleichmäßig verteile ich den Mulch zwischen den Pflanzen. Er muss ungefähr zehn Zentimeter hoch sein, um die Wurzeln der roten Flamingoblumen vor dem Austrocknen zu schützen. Gemulcht wird nur einmal im Jahr, deshalb ist es wichtig, nicht zu wenig davon aufzuhäufen. Ebenfalls nur einmal jährlich finden die Übungen der Luftwaffe statt, die nahe der Farm stationiert ist. Schlechtes Timing. Mit ohrenbetäubend lautem Getöse ziehen die Flieger über uns hinweg.

Auf den umgedrehten, leeren Eimern sitzend warten Sotaro, Arnya und ich darauf, dass Alex mit neuem Mulch zurückkommt. Ihm macht es Spaß, Traktor zu fahren, die Ladeschaufel zu bedienen. Gut, dass wir das schon bei unserem ersten Wwoofing-Aufenthalt im österreichischen Minihof bei der Familie Mandl gelernt haben.

Happy mulchers: Sotaro, Arnya, Alex und ich
Unser Arbeitsplatz: Flamingoblumenbeete unter schwarzen Netzen und Palmen
Flamingoblumen sind eigentlich in Lateinamerika und der Karibik zuhause.
Arbeitsschritt 1: Mulch vom Traktor in den Eimer ziehen.

Die aktuelle Wwoofing-Woche beginnt mit einem Wochenende. An einem Samstag um kurz vor 12 Uhr kommen wir auf der Farm an. Arnya, Hennings Tochter, und ihr Freund Casey begrüßen uns. Der Blumenhändler selbst ist noch auf dem Wochenmarkt, wo er einen Stand hat.

Arnya, 28, ist etwa so groß wie ich, hat lange, blonde Haare und braune Augen. Sie führt uns ins Wohnzimmer, das voll dunkler, schwerer Holzmöbel und Ventilatoren ist. Die offene Küche befindet sich auf der rechten Seite. Arnya öffnet den Kühlschrank. „Nehmt euch einfach, was ihr wollt“, sagt sie. Im Badezimmer hinter der Küche zeigt sie uns noch, wie die Waschmaschine funktioniert, bevor sie mit Casey vom Hof fährt. Die beiden Sportschützen trainieren fast jedes Wochenende im Verein.

Alex und ich holen unsere Rucksäcke aus dem Auto und bringen sie ins Zimmer. Wir übernachten in einem der Container, die sich links neben dem Hundezwinger etwas erhöht über dem staubigen Boden reihen. Darüber ist ein Dach aus Stahlstreben und Isoliermaterial, das auch das Wohngebäude vor Sonne und Regen schützt. Arnya, ihr Vater und Bruder Hayden leben in ähnlichen Containern hinter dem Wohnzimmer. Ihr ältester Bruder, Clayton, ist schon ausgezogen. Er wohnt mit seiner Familie in der Nähe.

Wir stellen die Rucksäcke auf dem Linoleumboden ab und fangen an, auszupacken. Unser Zimmer ist schlicht, aber gemütlich. Die Wände sind grau. Links steht ein Bett mit sehr weicher Matratze, davor ein Kleiderschrank aus Metall. Der Hocker unter dem Tisch rechts in der Ecke sieht aus, als würde er eine schlecht sitzende Perücke tragen. Die Sitzfläche über den hölzernen Beinen ist fusselig und dunkelbraun. Dafür haben wir ein eigenes Badezimmer. Und eine Klimaanlage. Ohne sie wäre es schwierig, die schwül-heißen Nachmittage des Northern Territorys in einem Zimmer auszuhalten. Den durchsichtigen Mini-Frosch, der regungslos an der Wand klebt, nenne ich Arnold.

Henning Olsens Blumenfarm liegt rund zwölf Kilometer außerhalb von Darwins Zentrum.
Der Eingang zu unserem Zimmer. Sotaros Raum befindet sich links neben unserem.

Henning lernen wir am Nachmittag kennen. Er ist groß, über 70, hat kurze weiße Haare, buschige Augenbrauen und einen Schnäuzer. Das karierte Hemd trägt er offen über dem hervorstehenden Bauch. Mit einem falschen Vollbart und einem roten Anzug könnte er sehr gut den Weihnachtsmann spielen. Nachdem wir uns vorgestellt haben, hilft er uns, wieder in unser Zimmer zu kommen. Alex und ich haben uns versehentlich ausgesperrt. Der Schlüssel, den wir bekommen haben, passt nicht.

Henning ist weder verärgert noch überrascht. Er ist ein Mann, der praktisch denkt. „Ach, sowas passiert immer“, sagt er nur, nachdem wir ihm unser Problem gebeichtet haben. Er stapft zu einer Leiter, lädt sie auf seinen Pick-up und fordert mich auf, einzusteigen. Auf der Rückseite der Container parkt Henning das Auto. Er steigt aus, lehnt die Leiter an. Unser Fenster steht zum Glück offen. Ich bin schmal genug, um hindurch zu steigen. Von innen lässt sich die Türe öffnen.

Abends treffen wir uns zum Essen wieder. Henning kocht meist gegen 18 Uhr. Bevor er angefangen hat, Blumen zu verkaufen, arbeitete er jahrelang als Koch. Jeden Abend stellt er ein Festmahl auf den Tisch: Es gibt mal Lachs, Reis und Brokkoli, mal Omelette-Auflauf mit Tomaten und Pilzen, mal Quiche mit gratiniertem Blumenkohl. „Es ist gut, dass ihr Fisch esst“, sagt Henning. „Wir hatten schon einmal eine Veganerin da. Es war schwierig, für sie zu kochen.“

Das Wort „Fisch“ spricht der Blumenhändler am Ende nur mit einem „s“ aus. Sein Akzent verrät die dänische Herkunft. Henning emigrierte vor der Geburt seiner Kinder nach Australien. Sein Traum war es, im Norden des Lands eine Rinderfarm zu betreiben. „Vielleicht irgendwann einmal“, sagt er.

Sotaro, der neben Alex am Tisch sitzt, redet kaum. Der 25-jährige Japaner ist erst vor zwei Wochen in Darwin angekommen. Er spricht und versteht nur wenig Englisch. Ein Jahr lang möchte er in Australien bleiben, wenn möglich länger. „Die japanische Gesellschaft ist nichts für mich“, sagt er.

Den Sonntag verbringen Alex und ich damit, Wäsche abzuhängen, mit unseren Familien zu telefonieren, am Blog zu schreiben, Comics zu zeichnen und Diggity zu waschen. Es macht uns Spaß, ihn mit dem Wasserstrahler abzuspritzen, auch wenn das Ergebnis eher mittelmäßig ausfällt. Die rote Outback-Erde bekommen wir nicht mehr aus den Türrillen und den Fugen der Radkappen.

Gruppenbild: Sotaro, Casey, Arnya, Henning, Alex und ich im Wohnzimmer
So macht Autoputzen Spaß.

Am Morgen darauf müssen wir zum ersten Mal früh aufstehen. Ich wache vor dem Weckerklingeln um 6 Uhr auf, wir konnten beide nicht gut schlafen. Die Hunde haben nachts gebellt. Zu zweit frühstücken wir im Wohnzimmer. Als Arnya uns sieht, schickt sie uns nochmals ins Zimmer: Wir sollen lange Hosen anziehen, um unsere Beine vor Kratzern zu schützen. Als wir zurückkommen, ist sie schon losgegangen. Henning überreicht uns Handschuhe, lässt uns zu sich und Sotaro ins Auto einsteigen. Vom folgenden Tag an gehen wir die kurze Strecke zu Fuß zu den Blumenbeeten.

Arnya ist schon dort und erklärt uns, was wir machen sollen. Ihre Hunde Scout, Camo und Cruiser spielen zwischen den Blumenreihen. Hennings Hund Diablo, der als einziger ins Wohnzimmer darf, liegt im Gras und schläft. Er ist schon etwas älter.

„Kann einer von euch Traktor fahren?“, fragt Henning. Er zeigt Alex die Funktionen der Maschine und verschwindet in einen anderen Bereich der Farm, wo er Blumen für den Verkauf schneidet. Wir sind schon nach kurzer Zeit verschwitzt. Die schweren, schwarzen Eimer durch die engen Reihen zu schleppen, ist ein Workout. Dort, wo ich den Eimer abgestützt habe, entdecke ich mittags, beim Duschen, einen blauen Fleck an meiner Hüfte. Es tut gut, den Schweiß und Staub vom Körper zu spülen. Wäre das Wasser in Australien nicht so knapp, würde ich länger unter dem kühlen Strahl bleiben.

Nachmittags fahren Alex und ich in die Stadt. Wir spazieren den Stokes-Hill-Pier entlang, schauen uns das Zentrum und das Museum of the Northern Territory an. Im Erdgeschoss ist anlässlich des Jubiläums der Apollo-Mission eine Ausstellung zum Mond aufgebaut, im obersten Stock der ausgestopfte Körper von Sweatheart zu sehen. Das 5,1 Meter lange Salzwasserkrokodil machte die Gewässer um Darwin in den 1970er-Jahren unsicher.

Besonders fasziniert uns die Dauerausstellung zum Zyklon Tracy, der die Stadt in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1974 verwüstete. 71 Menschen sowie mehr als 70 Prozent der Gebäude fielen dem Sturm zum Opfer. Fast die Hälfte der damals 48.000 Stadtbewohner wurde von einer Nacht auf die andere obdachlos. Trotz der schweren Schäden ließ die australische Regierung Darwin wieder aufbauen. Das Stadtbild sah danach allerdings ganz anders aus. Heute hat Darwin mehr als 132.000 Einwohner.

Nach einem kurzen Stopp am Strand fahren wir am Salzwassersee Lake Alexander vorbei zum Naturschutzgebiet East Point. Dort grasen Wallabys am frühen Abend auf dem Flugfeld. Der kleine Alexander-See ist eine der wenigen Badestellen Darwins, die quallen- und krokodilfrei sind. Von unfreiwilligen Begegnungen mit Salzwasserkrokodilen lesen wir an Hennings Wohnzimmertisch morgens sogar in der Zeitung. „Bikini Croc Madness“ titelt die Northern Territory News auf dem Foto einer jungen Frau, die sich in einem bei „Salties“ beliebten Wasserloch abkühlt.

Ein großes Segelschiff ankert am Stokes-Hill-Pier. Der erste Anlegesteg stand dort schon 1886.
Der Strand neben dem Museum of the Northern Territory zieht keine Badegäste an.
Das Naturschutzgebiet East Point ist die größte Parkanlage Darwins.
In der Hauptstadt des Northern Territorys leben rund 132.000 Menschen.
Am frühen Abend hüpfen Wallabys durch das Naturschutzgebiet East Point.
Warten auf den Sonnenuntergang
Getting closer.
Zanzett!
„Bikini Croc Madness“: Im Northern Territory sollte man manche Wasserlöcher meiden.

Die Arbeitstage gleichen sich. Frühstück, Mulchen von 7 bis 10 Uhr morgens. Danach unter die Dusche, Mittagessen. Nachmittags arbeite ich an einem Artikel über unsere Containerschiffreise, Alex schneidet einen Geburtstags-Film für mich aus den Videos der vergangenen sechs Monate. Nach dem Abendessen schauen wir meistens noch einen Film oder eine Folge Modern Family an.

Am Donnerstagnachmittag begleitet Sotaro uns in die Stadt. Wir müssen tanken, wollen den bekannten Mindil-Strandmarkt besuchen und ins Kino. Davor halten wir kurz am Supermarkt, das Shampoo ist alle. „I want to buy some ice cream“, verkündet Sotaro und geht in Richtung Kühlregal. Als er nach zehn Minuten nicht zurück ist, suchen Alex und ich ihn vor der Kasse. Doch da ist kein Sotaro. Auf dem Weg zu den Gefrierschränken kommt er uns entgegen, mit drei riesigen Schachteln Eiscreme in der Hand. Ich muss lachen. „Ich glaube, es wäre besser, wenn du die zurückstellst“, erkläre ich vorsichtig. „Das hält sich nicht so lange.“ Ich komme mir vor wie die Mama eines Fünfjährigen. Mit traurigem Blick stellt Sotaro die Schachteln zurück. Ein kleines Eis isst er im Auto.

Auf dem Mindil Beach Market kaufen wir indisches Streetfood und Falafel. Am Strand schauen wir dabei zu, wie die Sonne hinter dem Meer versinkt. „Du erinnerst mich an meine Mutter“, sagt Sotaro und ich muss an die Episode mit dem Eis denken. „Optisch oder vom Verhalten her?“, frage ich nach. „Optisch“, antwortet er. „Du siehst ihr wirklich ähnlich.“ Eine 65-jährige japanische Doppelgängerin? Ich bin enttäuscht, dass Sotaro kein Foto von ihr dabei hat.

Es dauert, bis wir zurück auf die Straße kommen. Der Markt-Parkplatz ist komplett überfüllt und es scheint, als wollten alle anderen Autofahrer zeitgleich mit uns nach Hause fahren. 20 Minuten kommen wir nur im Schritttempo voran. Wir schaffen es trotzdem rechtzeitig ins Kino.

Minding the Gap ist eine traurig-schöne Doku übers Skaten, Freundschaften, Rassismus und das Erwachsenwerden. Obwohl es längst dunkel ist, ist es noch warm draußen. Auf Plastikstühlen sitzen wir unter dem schwarzen Nachthimmel. Ab und zu raschelt der Wind durch die Palmzweige, fliegen Fledermäuse und Nachtfalter vor die Leinwand. „Au!“, zischt Alex. „Ein Opossum hat mich in den rechten großen Zeh gebissen!“ Auf Plakaten am Eingang warnen die Betreiber davor, Popcorn oder andere Snacks auf dem Boden abzustellen. Das würde Opossums anziehen. Stimmt.

Der Mindil Beach Sunset Market gehört zu Darwins bekanntesten Attraktionen.
Nach dem Essen schauen Sotaro, Alex und ich …
… uns den Sonnenuntergang an.

An unserem letzten Arbeitstag auf der Farm stehen alle Flamingoblumen in einem frischen Mulchbeet. Henning freut sich. „Nächstes Mal, wenn ihr in Darwin seid, dürft ihr einfach so hier übernachten“, sagt er. Dann schaut er uns lange an: „Wir werden euch vermissen.“

Bevor wir am Samstagmorgen weiterfahren, nehmen wir Sotaro noch einmal mit in den Supermarkt. Für seine letzten beiden Wochen in Darwin kauft er sich vier große Schachteln Eiscreme. Auf dem Rückweg zur Farm schaue ich in den Rückspiegel. Unser neuer Freund sieht sehr zufrieden aus.

Unser Leben als Comic: Abschiedsgrüße nach einer Woche auf Hennings Blumenfarm in Darwin

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