Zu den Reisterrassen

Gegen 5 Uhr kräht der erste Hahn, fangen die Hunde an zu bellen. Ausschlafen wird in Lao Chai schwierig, das ist uns schon am ersten Morgen klar. Dafür ist der Blick auf die Reisterrassen frühmorgens besonders schön, wenn sich der Nebel über dem Fluss im Tal lichtet.

Fünf Tage verbringen wir in dem Bergdorf Lao Chai bei Sa Pa, auf rund 1600 Metern Höhe. Mit dem Regionalzug fahren wir von Kunming im Süden Chinas bis zur Grenze Vietnams. Von 11 bis 16.30 Uhr sind wir unterwegs, die letzten Kilometer legen wir im Taxi zurück.

 

Der Blick von unserem Bungalow. Kann sich sehen lassen.
Das Gästehaus befindet sich inmitten von Reisterrassen.

Am Grenzübergang sind die vietnamesischen Zollbeamten zunächst einmal verwirrt, als sie unsere E-Visa sehen. Deutsche Touristen brauchen eigentlich kein Visum für die Einreise, 15 Tage können sie sich visumfrei in Vietnam aufhalten. Unsere E-Visa sind dagegen gleich für 30 Tage gültig. Wir werden nach draußen geschickt, damit die Beamten sich beraten können. Sie sind sich schneller einig als erwartet. Nach nur zehn Minuten Warten auf roten Plastikstühlen in der Sonne bekommen wir unsere Einreisestempel.

Hinter dem Zollgebäude erwartet uns eine Welt, die ganz anders ist als China. Sechs Wochen haben wir im Reich der Mitte verbracht, von Peking bis in die Region Yunnan. Nun müssen wir uns wieder auf ein neues Land einstellen. Ich bin damit noch überfordert. Der Verkehr erscheint uns viel hektischer und lauter als im Nachbarland. Überall sind Rollerfahrer, die hupen.

Weil die einzige Bank in der Nähe unsere letzten chinesischen Yuan nicht nehmen möchte, tauschen wir die Scheine bei einem Geldwechsler auf der Straße. Im Internet haben wir zwar gelesen, dass man genau das nicht machen sollte, da die Geldwechsler sich so gut wie nie an den offiziellen Wechselkurs halten. Aber wir haben keine Wahl. Auch wir machen Verlust, genauso wie bei der Taxifahrt zum Busbahnhof, die nur fünf Minuten dauert. Ich habe viel zu schnell auf den vorgeschlagenen Preis eingewilligt, ohne auch nur zu versuchen zu verhandeln. Das war noch nie meine Stärke.

Am Bahnhof direkt neben dem Busbahnhof heben wir noch ein paar vietnamesische Dong ab und kaufen Zugfahrkarten nach Hanoi. Dorthin reisen wir fünf Tage später. Mit dem Bus fahren wir anschließend nach Sa Pa. Die Strecke besteht quasi nur aus Kurven. Immer höher geht es den Berg hinauf, manchmal beängstigend nah am Abgrund, wenn wir einen Rollerfahrer überholen oder uns ein Lkw entgegenkommt. Als wir die Grenzstadt Lao Cai verlassen, geht die Sonne unter.

Nach einer Stunde kommen wir in Sa Pa an. Wir bleiben nicht lange in dem Bergstädtchen, das eine der beliebtesten Anlaufstellen in Vietnam für Backpacker mit Faible für Wandertouren ist. Der Ort wirkt auf uns einengend und überlaufen mit seinen vielen Hostels, Restaurants und Outdoor-Läden. Nur wenige Kilometer entfernt befindet sich der Fan Si Pan, mit 3143 Metern der höchste Berg des Landes.

Im Taxi rumpeln wir die letzten sieben Kilometer über eine Schotterstraße in Richtung Lao Chai. Solange, bis der Taxifahrer nicht mehr weiterfahren möchte. Unsere Unterkunft liegt im Tal. Der Weg nach unten sei ihm zu gefährlich, sagt der Fahrer. Immerhin ruft er unsere Gastgeberin an.

Zoly kommt mit ihrem Neffen auf dem Roller. Sie bedeutet uns, hinter ihnen aufzusteigen, doch mit je einem großen und einem kleinen Rucksack ist uns das zu gefährlich. Lieber wanken wir im Dunkeln mit rund 20 Kilogramm auf den Schultern die holprige, schlaglochgespickte Straße zu Fuß nach unten.

Zoly begleitet uns, obwohl sie nur Badeschlappen an hat. Sie hat nicht damit gerechnet, dass ihre Gäste sich weigern würden, mit dem Roller zu fahren, dem mit Abstand beliebtesten Transportmittel der Vietnamesen. Rund 45 Millionen Motorroller sind in Vietnam registriert. „Ich bin diesen Weg seit vier Jahren nicht zu Fuß gegangen, Schwester“, sagt sie zu mir. „Mit dem Roller geht es schneller.“ Alex nennt sie abwechselnd „Bruder“ und „Mr. Alex“, was mich jedes Mal zum Schmunzeln bringt.

Auf dem Weg nach unten erfahren wir, dass Zoly bis vor Kurzem als Fremdenführerin gearbeitet hat. Ihr Gästehaus hat sie erst vor fünf Monaten eröffnet. „Früher bin ich selbst sehr viel gereist“, sagt die zierliche 25-Jährige. „Aber mit meinem dreijährigen Sohn ist das schwierig geworden.“ Das Gästehaus, sagt sie, bringe die Welt jetzt zu ihr.

 

Zoly (li.) hat bis vor Kurzem Touristen durch die Berglandschaft Sa Pas geführt.
Ihr Gästehaus, das SaPa Farmer House, hat Zoly erst vor fünf Monaten eröffnet.

Zoly und ihre Familie gehören zu den Schwarzen Hmong, einer von 16 Ethnien in der Region. Vietnam ist das ethnisch vielfältigste Land Südostasiens. Knapp neunzig Prozent der rund 95 Millionen Einwohner sind ethnische Vietnamesen, „Viet“ oder „Kinh“. Etwa 1,2 Millionen sind „Hoa“, chinesischer Abstammung. Weitere 52 Minderheitsgruppen sind anerkannt, darunter die Hmong, die sich – je nach der Farbe ihrer Tracht –in fünf Gruppen gliedern: Es gibt Rote, Weiße, Schwarze, Blaue und sogenannte „Blumen-Hmong“, die besonders farbenprächtige Kleidung tragen.

Zolys Eltern leben von der Landwirtschaft. Wie fast alle Bauern in Lao Chai bauen sie Reis an. Zolys Gästehaus liegt deshalb inmitten von Reisterrassen. Doch das sehen wir erst am nächsten Morgen.

Zu Fuß erkunden wir tags darauf unsere Nachbarschaft. An schlafenden Hunden, freilaufenden Hühnern, Enten und Schweinen vorbei spazieren wir zu dem kleinen Dorf auf der anderen Flussseite. In einem Laden an der einzigen asphaltierten Straße kaufen wir Obst, Gemüse, Brot und Kekse, während Dutzende Kinder mit bunten Schulranzen an uns vorbeilaufen. Die Schule muss eben zu Ende gegangen sein.

Mit den Sachen im Rucksack biegen wir in eine Seitengasse ein, die einen Hügel hinaufführt. Wir haben vor, uns die Reisterrassen einmal von oben anzusehen. Doch nach wenigen Metern versperrt ein Wasserbüffel uns den Weg. Mit dem mächtigen Tier und seinen geschwungenen Hörnern wollen wir uns nicht anlegen. Wir schlagen eine alternative Route ein, folgen einem schmalen Pfad, der in Serpentinen bergauf führt. Obwohl die meisten Reisfelder bereits abgeerntet sind, sind die Terrassen, die sich wie Stufen in die Berge fügen, unglaublich schön.

 

Eine Hängebrücke führt in das Bergdorf Lao Chai.
Auf dem Weg dorthin begegnen wir freilaufenden Entenküken …
… und eingesperrten Hühnern.
Die Schule muss eben zu Ende gegangen sein. Oder: Wie viele Menschen passen auf einen Roller?
Freundinnen.
Wasserbüffel werden in Vietnam als Arbeitstiere in der Landwirtschaft genutzt.
Die Reisterrassen fügen sich wie Stufen in die Berge ein.

An einem der folgenden Tage wandern wir zu den umliegenden Dörfern. Der Weg führt immer am Fluss entlang. Zuerst über die Reisfelder, danach durch einen dichten Bambuswald, wo Treppenstufen in den Matsch gehauen sind. Bei Regen ist diese Strecke bestimmt nicht ungefährlich.

Immer wieder begegnen wir Frauen mit breitkrempigen Hüten und großen Körben auf dem Rücken, die Touristen durch die Gegend führen. Einige wollen uns bunte Stoffpuppen und Armbänder verkaufen. Die Bergvölker in der Gegend um Sa Pa gehören zu den ärmsten Bewohnern des Landes.

Diese Armut zu sehen, macht mir zu schaffen. Zumal ich weiß, dass ich nichts Wesentliches an der Situation der Menschen ändern kann. Während wir morgens auf der Veranda unserer Unterkunft Pfannkuchen mit Honig und Bananen essen, arbeiten die Bauern auf den Feldern längst. Sie stehen mit den Hähnen auf, die uns jeden Morgen gegen 5 Uhr wecken.

 

Frühstück auf der Veranda unserer Unterkunft: Pfannkuchen mit Honig und Bananen, Kaffee mit Kondensmilch.
Eine Bäuerin bei der Reisernte.
Der typisch konische Strohhut taugt auch zur Vogelscheuche. Die Reisfelder im Hintergrund sind bereits abgeerntet.
Nach der Ernte wird der Reis zum Trocknen großflächig ausgebreitet.
Zu Fuß erkunden wir die Gegend um das Bergdorf Lao Chai.
Auf einem matschigen Pfad wandern wir durch einen Bambuswald …
… zum nächsten Dorf. Dort sind wir nicht die einzigen Touristen.
Unterwegs treffen wir immer wieder Frauen in traditioneller Kleidung.
Die Reisterrassen um Sa Pa werden seit mehr als hundert Jahren bewirtschaftet.
Abends verbrennen die Reisbauern Stroh und Ernteabfälle. Der Rauch zieht durch das ganze Tal.

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