Mit einem lauten Knall schwingt der junge Mann im Cowboyoutfit die Peitsche um seinen Körper. „Das war mein sexy Crack“, sagt er. Alex und mir kommen die Tränen vor Lachen. Wir sitzen auf Plastikstühlen vor der Bar eines Campingplatzes in Mataranka, einem Ort mit rund 350 Einwohnern im Norden Australiens, und schauen Nathan „Whippy“ Griggs beim Peitschenknallen zu.
Der 26-Jährige schleudert mal eine, mal zwei Peitschen durch die Luft. Er lässt sie im Rhythmus eines galoppierenden Pferds krachen, wirbelt sie um den Körper eines Freiwilligen, der stocksteif dasteht und die Hände schützend vors Gemächt hält. Für das große Finale tunkt er sie in Benzin und zündet sie an, knallt mit brennenden Peitschen. Die Zuschauer pfeifen, applaudieren. Sie lieben Nathan.
Er ist der ganze Stolz des Northern Territory. Während der Trockenzeit, wenn die Touristen da sind, tritt er an fünf Abenden die Woche auf dem Campingplatz in Mataranka auf. „Ihr müsst euch heute unbedingt Nathans Show ansehen!“, drängt uns schon nachmittags, beim Check-In, die Frau an der Rezeption. „Er ist der beste Whipcracker der Gegend!“
Nathan, der seinen Namen selbst „Naifen“ ausspricht, ist professioneller Peitschenknaller – ein Beruf, von dem wir bis dahin nicht wussten, dass es ihn gibt. Hier, am Rand des australischen Outbacks, wird das Wort „cool“ etwas anders definiert als in Sydney oder Melbourne. Hier steht man auf Männer à la Crocodile Dundee, mit Muskeln und Messer in der Hand. Oder einer Peitsche.
Nathan – schwarzer Cowboyhut, Jeans, Cowboystiefel, schwarzes Tanktop und blonder Vokuhila – schaltet die Musik ein. Er ist eine One-Man-Show, sogar seine Peitschen stellt er selbst her. Die meisten, sagt er, seien aus Känguruleder. „If it hadn’t been for Cotton-Eye Joe, I’d been married long time ago“, schallt es aus den Lautsprecherboxen. Nathan knallt im Takt mit den Peitschen, macht Ausfallschritte nach hinten und zur Seite. Er guckt angestrengt, das Whipcracken ist ein Ganzkörpertraining. „Where did you come from, where did you go? Where did you come from, Cotton-Eye Joe?“ Das Lied bekommen wir tagelang nicht mehr aus unseren Köpfen.
Auf dem Weg von Mataranka in den Süden fangen wir abwechselnd immer wieder damit an. „Where did you come from, where did you go?“ Wir kommen aus Katherine. Nach unserem Abstecher in den Kakadu-Nationalpark übernachten wir drei Nächte auf unserem bisherigen Lieblings-Campingplatz in Australien. Dem mit den weißen Kakadus, neben den heißen Quellen.
Dort treffen wir eine Familie aus Österreich wieder, die ein paar Wochen vorher zeitgleich mit uns auf einem Campingplatz in Coral Bay, in Westaustralien, gezeltet hat. „Die Deutschen!“, ruft eins der beiden blond gelockten Mädchen, als es uns sieht. „Die Österreicher!“, erwidere ich lachend. „Sorry!“, mischt sich die Mutter ein. „Meine Tochter behirnt manchmal nicht, dass Österreicher und Deutsche die gleiche Sprache sprechen.“ Zehn Minuten später kommen die zwei Mädchen mit einer Tüte Popcorn vorbei. Ein Friedensangebot, das wir nur zu gerne annehmen.
Katherine ist der Knotenpunkt zwischen Darwin, der Hauptstadt des Northern Territory, und den Fernstraßen nach Westen und Süden. „Where did you come from, where did you go?“ Weiter geht es für uns auf dem rund 2700 Kilometer langen Stuart Highway. Unser nächstes Ziel ist Alice Springs, die einzige größere Stadt im Zentrum Australiens. Von Mataranka dorthin sind es 1075 Kilometer – eine Strecke fast so weit wie von Konstanz nach Kopenhagen.
Unterwegs halten wir in Newcastle Waters, dem Lonely Planet zufolge eine Geisterstadt, die in Wahrheit aber noch bewohnt ist. Wir übernachten neben den Pebbles, einer heiligen Stätte der Warumungu. Am frühen Abend spaziere ich um die riesigen Granitkugeln herum. Der Ort, den die Aborigines Kunjarra nennen, ist traditionell den Frauen vorbehalten. Männer dürfen ihn nur in Begleitung einer Frau betreten.
Zum ersten Mal während unserer Campingtour sinkt die Temperatur nachts auf null Grad Celsius. Der Wind pfeift um Diggity, während wir uns in die Schlafsäcke kuscheln. In Alice Springs kaufen wir uns als Erstes eine Bettdecke. Obwohl wir neben unseren dünnen Schlafsäcken auch einen Doppelschlafsack haben, lässt uns der australische Winter im Auto frieren.
Bevor wir Alice Springs, das „Herz Australiens“, erreichen, schauen wir uns aber noch die Devil’s Marbles an, die Maxi-Version der Pebbles. Hunderte runde Granitfelsen verteilen sich auf dem Gebiet Karlu Karlu, das den Aborigine-Stämmen Kaytetye, Warumungu, Anmatyerre und Alyawarre heilig ist. Der Ort, der etwa so groß ist wie die Insel Hiddensee, gilt als eine der ersten religiösen Stätten der Welt. Nichtsdestotrotz wurde den Ureinwohnern das Eigentumsrecht erst im Oktober 2008 zurückgegeben. Und das auch nur für 99 Jahre.
Am Nachmittag kommen wir an unserem Campingplatz in Alice an. Wegen der guten Kommentare in der App Campermate, die wir für die Suche nach kostenlosen oder zumindest bezahlbaren Campingplätzen nutzen, checken wir in einem etwas teureren Holiday Park ein. Und merken schnell, dass das nichts für uns ist: Wir brauchen weder ein Fitnessstudio noch einen Fernsehraum – erst recht keinen Pool bei maximal 15 Grad tagsüber.
Abends, im Auto, machen wir uns Gedanken über die Weiterreise. Vor ein paar Tagen haben wir die Nachricht erhalten, dass das Containerschiff, auf dem wir eigentlich von Neuseeland nach Kolumbien reisen wollten, sehr bald keine Passagiere mehr mitnehmen wird. Von da an wird es nur noch zwei Frachtschiffe geben, mit denen wir Neuseeland verlassen könnten: Eins mit Kurs auf Asien, das andere auf die Ostküste der USA.
Wir überlegen: Sollen wir überhaupt nach Neuseeland weiterreisen, wenn wir nicht wissen, ob es möglich sein wird, von dort nach Lateinamerika zu gelangen? Wäre es klüger, von Australien zurück nach Asien zu reisen und von Hongkong oder Shanghai nach Süd- oder Mittelamerika überzusetzen?
Oder sollen wir das Risiko wagen? Die Routen der Containerschiffe ändern sich ständig, es könnte also gut sein, dass es in den kommenden Monaten eine neue Verbindung zwischen Neuseeland und Lateinamerika geben wird. „Where did you come from, where will you go?“ Auf die zweite Frage haben wir noch keine Antwort. Wir vertagen die Entscheidung. Nur eins wissen wir sicher: Fliegen möchten wir auf dieser Reise nicht.