Ein Schiff wird kommen

Kot liegt in der Küche. Von einem Hund oder einer großen Katze. „Herzlich willkommen“, sage ich zu Alex. Wir lachen. Der Aufenthalt in unserer neuen Unterkunft fängt gut an. Erst vor fünf Minuten sind wir zur Tür hereingekommen. „Der Schlüssel liegt unter der Fußmatte“, hat uns Mona, die Mutter unseres Gastgebers Marc, verraten. Er und seine Freundin Dalice sind noch bei der Arbeit. Mona und ihr Mann wohnen nebenan.

Wir schließen die Wohnungstür auf, tragen unsere Rucksäcke ins Zimmer. Welches unseres ist, erkennen wir gleich – in allen anderen herrscht Chaos. Nachdem wir die Rucksäcke abgesetzt haben, gehen wir ein zweites Mal zum Auto und holen die Lebensmittel. Die haltbaren bringen wir ins Zimmer. Danach tragen wir die Kühlschrank-Tasche in die Küche. Und entdecken die Hunde-/Katzenkacke.

„Groß genug wäre sie ja“, sage ich und zeige auf eine dicke, schwarze Katze, die zusammengerollt auf einem Stuhl unter dem Esstisch liegt. Cha Cha, erklärt uns Dalice später. Sie ist richtig bestürzt über die Bescherung in der Küche. „Sorry – das ist echt noch nie passiert!“, sagt sie ein ums andere Mal. „Das macht doch nichts“, versichere ich ihr, „kommt vor.“ Alex und ich sind mehr amüsiert als angeekelt.

Den Abend verbringen wir trotzdem in unserem Zimmer. Nach unserem dreiwöchigen Roadtrip durch Neuseeland mit meiner Mutter und meiner Schwester brauchen wir ein bisschen Zeit für uns. Auf dem Bett liegend beantworten wir E-Mails und WhatsApp-Nachrichten. Dafür war während der vergangenen Wochen nicht viel Raum. Genauso wenig für die Arbeit. Weil wir einiges nachholen müssen, halten wir uns während der kommenden zehn Tage meistens ins unserem Zimmer auf. Alex zeichnet Comics, ich schreibe: ein Interview, einen Artikel, neue Blogeinträge.

Ein paar Mal fahren wir auch in die Stadt. Wir spazieren durch den Botanischen Garten und am Avon-Fluss entlang, schauen uns das Kunstmuseum und die Cardboard Cathedral an, eine provisorische Kirche, welche vorübergehend die ChristChurch-Kathedrale ersetzen soll, die bei dem verheerenden Erdbeben im Februar 2011 zerstört wurde.

Die Cardboard Cathedral (Kartonage-Kathedrale), ein dreieckiger Bau mit dreieckigen Buntglasfenstern, besteht zum Teil tatsächlich aus Karton. Sie wurde von dem japanischen Architekten Shigeru Ban entworfen, der für seine provisorischen Gebäude in Katastrophengebieten bekannt ist.

Bei dem Erdbeben am 22. Februar 2011 stürzte der Turm der ChristChurch-Kathedrale zur Hälfte ein.
Die Cardboard Cathedral wurde am 2. August 2013 eröffnet.
700 Personen haben Platz in der Papp-Kathedrale.
Auch das Kunstzentrum wurde bei dem Erdbeben 2011 schwer beschädigt. Inzwischen wurde es umfassend restauriert.
Im Botanischen Garten blühen die Rhododendronbüsche.

In einem nahegelegenen Einkaufszentrum haben wir ein getrenntes Kino-Date: Alex schaut sich Terminator – Last Fate, ich mir Jojo Rabbit, den neuen Film des neuseeländischen Regisseurs Taika Waititi, an.

Beim Kochen unterhalten wir uns hin und wieder nett mit Dalice oder Marc. Sie arbeitet im Sekretariat einer Sprachschule, er am Flughafen. In ihrer Freizeit engagieren sich die beiden in einem Gemeinschaftsgarten. Mit im Haus wohnen außerdem Dalices zwölfjährige Nichte sowie eine Freundin ihrer erwachsenen Tochter, die in Auckland studiert.

Morgens müssen alle früh raus: zur Schule, zur Arbeit. Dabei ist die Familie nicht sehr leise. Spätestens um 7 Uhr bin ich auch wach, Alex kann dank Wachsohrstöpseln immerhin ein bisschen länger schlafen. Sobald alle gegangen sind, gehe ich nach unten, mache Yoga, gehe joggen. Am Avon-Fluss, der nur wenige hundert Meter entfernt ist. Jetzt im Frühling haben viele der Enten und Schwäne, die auf dem Fluss leben, Nachwuchs. Mit Alex‘ neuer Kamera gehen wir nachmittags zu einem Teich um die Ecke, auf dem besonders viele Entlein schwimmen.

Der Avon River/Ōtakaro fließt von Avonhead durch das Zentrum Christchurchs.
Die Schwäne …
… und Wildgänse haben Nachwuchs bekommen.
Alex testet seine neue Kamera mittags, …
… nachmittags …
… und abends.

Und dann kommt der Tag der Entscheidung. Nachdem wir ein paar Monaten zuvor erfahren hatten, dass es vorübergehend keine Containerschifffahrten mit Passagieren mehr von Neuseeland nach Nord-, Mittel- und Südamerika geben würde, haben wir mehreren Reiseagenturen geschrieben und darum gebeten, uns zu benachrichtigen, falls sich daran etwas ändern sollte. An diesem Morgen meldet sich eine der Agenturen.

Es gebe wieder eine Fahrt von Neuseeland nach Amerika, berichtet die Angestellte: von Tauranga nach Savannah, Georgia, im Südosten der USA. Es ist nicht unsere Traumverbindung. Wir würden gerne nach Süd- oder Mittelamerika weiterreisen.

Unsere anfängliche Euphorie über die neue Verbindung lässt schnell nach. 30 Tage dauert die Überfahrt nach Savannah, 3700 Euro kostet sie. Pro Person. Können wir uns das überhaupt leisten? Der Abfahrtstermin wäre Ende Dezember. Neun Monate möchten wir anschließend noch reisen. Hätten wir nach dieser Überfahrt noch Geld dafür? Für Kost und Logis auf dem Schiff zu arbeiten würden wir sofort, aber das ist aus Versicherungsgründen leider schon lange nicht mehr möglich.

Die Alternativen: ein Flug oder eine Kreuzfahrt an die Westküste der USA. Aber Fliegen, da sind wir uns einig, möchten wir auf dieser Reise nicht. Nachdem wir eineinhalb Jahre auf dem Landweg unterwegs waren, von Malaysia nach Australien und von Australien nach Neuseeland auf dem Containerschiff übergesetzt sind, würde es sich nicht richtig anfühlen, innerhalb weniger Stunden den Kontinent zu wechseln.

Eine Kreuzfahrt zu buchen, widerstrebt uns allerdings genauso. Mit 21 Tagen und rund 2100 Euro pro Person wäre sie auf der Route Auckland – Los Angeles zwar deutlich kürzer und günstiger als die Fahrt mit dem Containerschiff. Doch wir wissen, dass Kreuzfahrtschiffe ökologische Dreckschleudern sind, deren Personal fast nie angemessen bezahlt wird. Können wir das mit unserem Gewissen vereinbaren? Abgesehen davon würden wir uns zwischen Gratis-Häppchen und Animateuren auf dem Sonnendeck sicher nicht besonders wohlfühlen. Es ist eine Wahl zwischen schlimm und schlimmer. Tagelang drücken wir uns vor der Entscheidung, bis zum Ultimatum der Reiseagentur: Nach dem Wochenende müssen wir Bescheid geben, sonst werden unsere Plätze wieder freigegeben.

Wir schreiben eine Pro- und Kontra-Liste, fragen Freunde und unsere Familien. Wir machen es uns nicht leicht mit der Entscheidung. Es ist keine, auf die wir besonders stolz sind, denn am Ende wählen wir das Kreuzfahrtschiff. Wegen der kürzeren Fahrtdauer und der Finanzen.

Unser neuer Plan sieht vor, von Los Angeles, wo das Schiff anlegen wird, an der Westküste der USA entlang und durch Kanada zu reisen. Von der Ostküste der USA möchten wir mit einem Containerschiff nach Deutschland zurückfahren. Das sollte kein Problem sein: von New York nach Hamburg gibt es eine wöchentliche Verbindung.

Es dauert, bis ich mich mit der Kreuzfahrt abfinde. Ich schreibe noch einigen Containerschiffunternehmen, die normalerweise keine Passagiere transportieren, bekomme aber keine Antwort. Auch bei CMA CGM, bei denen wir schon zweimal mitgefahren sind, melde ich mich. Umsonst. Es scheint für diesen Teil unserer Reise keine umweltfreundlichere Lösung zu geben. Es ärgert mich, dass das System, in dem wir leben, kaum nachhaltige Reiseoptionen bietet. Wie kann es sein, dass ein Flug innerhalb Deutschlands günstiger ist als eine Bahnfahrt? Weshalb ist es nicht möglich, sich emissionsfrei über die Ozeane zu bewegen? Das sollte anders sein. Selbst eine Containerschifffahrt, die vergleichsweise wenig CO2 pro Passagier verursacht, können sich nur die wenigsten leisten. Und bis zu den ersten emissionsfreien Flügen wird es bestimmt noch lange dauern.

Eine gute Nachricht bekommen wir aber noch während unseres zehntägigen Aufenthalts in Christchurch: Wir erhalten die Zusage für einen Housesit von Conor und Amanda. Während sie mit ihren zwei Kindern über Weihnachten und Silvester Verwandte auf der Nordinsel besuchen, dürfen wir auf ihre beiden Katzen und vier Hühner aufpassen. Bis dahin möchten wir die Südinsel Neuseelands noch einmal ausführlicher erkunden. Vier Wochen bleiben uns dafür.

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