Um kurz vor halb zehn blitzt ein Licht vor unserem Fenster auf. Der Strahl einer Taschenlampe scheint zwischen den dunkelblauen Vorhängen hindurch ins Zimmer. Alex und ich liegen eingemummelt unter unseren Bettdecken, lesen, als jemand gegen die Fensterscheibe hämmert: „Aufmachen! Polizei!“ Alex springt aus dem Bett, öffnet dem nächtlichen Besuch die Tür.
Mein erster Gedanke: „Oh shit! Sind die Schafe weg?“ An diesem Morgen ist die Familie Mandl zu einer mehrtägigen Wanderung aufgebrochen. Obwohl sie uns gerade einmal seit vier Tagen kennen, haben Bruno, Gertrud, Paul, Rosa und Agnes uns ihren Hof und ihre Schafe anvertraut. Wir sind die Herren der Schafe. Oma Frieda ist glücklicherweise bei uns in Minihof geblieben. Sie füttert die Tiere morgens um fünf Uhr zum ersten Mal. Und kümmert sich um uns, als wären wir ihre Enkel.
„Wissen Sie etwas über den Verbleib der Familie Mandl?“ Puh, die Schafe sind noch da. Ein Bekannter der Familie hat das Auto der Mandls in der Nähe eines Waldstücks entdeckt, er macht sich Sorgen. In einem so kleinen Dorf wie Minihof ist es einfach unmöglich, unbemerkt einen Ausflug zu machen. Es ist bedrückend-schön: Seit Jahrhunderten herrscht hier die soziale Kontrolle. Die allerdings beruht auf einem ausgeprägten Zusammengehörigkeitsgefühl, das in den Städten und großen Dörfern längst verloren gegangen ist. Wir klären die Beamten über die Wanderung auf und geben ihnen Brunos Handynummer. Beruhigt legen wir uns schlafen.
Während der Abwesenheit unserer Gastfamilie ist die morgendliche Stallarbeit unsere einzige Aufgabe. Den Rest des Tages haben wir frei. Wir nutzen die Zeit für Ausflüge. Wir wandern die große Mühl entlang, durch den Wald und über blühende Wiesen, zum Nachbarort Schlägl. Wir radeln in den Böhmerwald – die Grenze zu Tschechien ist nur wenige Kilometer entfernt.
Einige Tage später fahren wir mit der Mühlkreisbahn nach Linz. Gertruds Eltern Margit und Franz begleiten uns. Sie sind auf dem Weg zu der Erstkommunion ihres jüngsten Enkelsohns in Wien. Die beiden erzählen von der Besatzungszeit im Mühlviertel. Margit ist im Zollhaus von Sankt Oswald, an der Grenze zu Tschechien, groß geworden. Am Ende des Kriegs wurde die Bevölkerung aus den umliegenden deutschen Dörfern vertrieben, ihre Häuser wurden dem Erdboden gleich gemacht. „Als Kind habe ich das Geschehen in seiner ganzen Dramatik nicht verstanden. Doch die Bilder der Zerstörung haben sich sehr stark eingeprägt“, sagt Margit.
Mit rund 203.000 Einwohnern ins Linz die drittgrößte Stadt Österreichs. Wir erkunden die schöne Altstadt mit ihren engen Gassen und den bunten Stuck-Häusern, gehen die Donau entlang, fotografieren im Mural Harbor, einer Graffiti-Galerie im Handelshafen. Auch das Ars Electronica Center, das sich selbst „Museum der Zukunft“ nennt, besuchen wir. Doch die 8K-Filmvorführung, die Virtual-Reality-Brillen und die interaktiven Datenbanken wirken auf uns eher als wären sie aus dem Jahr 2008 denn 2018.
Am Sonntagabend kehrt unsere Gastfamilie zurück. Die Schafherde hat in der Zwischenzeit Zuwachs bekommen. Oma Frieda hat die beiden Lämmer und ihre Mama mit der Hilfe eines Nachbarn aus der Herde geholt und in eine der Ablammboxen gebracht. Dort sind das Mutterschaf und seine Kleinen etwa eine Woche lang für sich. Alex und ich haben die Geburt nicht einmal mitbekommen. Nach dem Besuch der Polizei sind wir nur froh, dass alle Tiere noch da sind. Wir, die Herren der Schafe.
Schade dass ihr schon wieder weg seid !!!!!!War echt sehr toll mit euch.Viel Spaß bei der weiteren Reise um die Welt.
Danke, liebe Rosa! Es war wirklich sehr toll mit euch! Wir vermissen euch alle sehr. Passt auf euch auf – wir freuen uns jetzt schon darauf, euch in drei Jahren wiederzusehen 🙂
Schöner Beitrag, perfekte Länge für Beschäftigung während einer Still-Sesseion 🙂
Liebe Grüße
Franzi
Juhuuu! Wir geben uns Mühe, die Länge beizubehalten 😀 Wir hoffen, euch geht es gut und schicken viiiiele liebe Grüße aus Bratislava