Abwandern und Tee trinken

Die Hunde knurren und bellen, als Patrick den Hügel zum Waldrand emporsteigt. Das ist ihr Revier. Doch der 31-Jährige lässt sich nicht einschüchtern. Ohne anzuhalten geht er an dem Rudel vorbei. Zähnefletschend ziehen sich die Tiere unter die tiefhängenden Äste des Dschungels zurück.

Alex und ich folgen Patrick, so schnell wir können. Aber wir merken, dass der drahtige Amerikaner das Wandern mehr als wir gewohnt ist. Flink steigt er über Wurzeln, klettert über umgefallene Baumstämme, zieht sich an herabhängenden Ästen nach oben. Wir können kaum mithalten, müssen immer wieder anhalten, Luft holen. Immerhin kommen uns keine Hunde mehr entgegen.

Auf den Wanderwegen rund um das Städtchen Tanah Rata sind häufig Straßenhunde unterwegs. Auch deshalb sollten Wanderer unbedingt jemandem ihre geplante Route mitteilen, bevor sie losgehen. Wir haben uns an diesem Morgen bei unserem Gastgeber Sylvain abgemeldet. In seiner schönen Wohnung, am Rand von Tanah Rata, verbringen wir eine Woche.

Tanah Rata ist das Zentrum der kühlen Cameron Highlands, einem Höhenzug circa 200 Kilometer nördlich der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur. Der 11.000-Einwohner-Ort ist weder besonders groß, noch besonders schön. Rechts und links neben der vielbefahrenen Hauptstraße reihen sich indische Restaurants an kleine Lebensmittelgeschäfte und Souvenirläden, in denen Sonnenbrillen, Tee und Kinderschlafanzüge mit Erdbeer-Motiv verkauft werden.

Warum dann überhaupt nach Tanah Rata? Die Stadt ist der ideale Ausgangspunkt für Wanderungen sowie die Besichtigung von Teeplantagen und Erdbeerfeldern. Auf rund 1500 Metern Höhe ist es außerdem nicht so heiß wie an der Küste, wo die Temperaturen selten unter 28 Grad fallen.

 

Alex im Park von Tanah Rata. Der 11.000-Einwohner-Ort ist das Zentrum der kühlen Cameron Highlands.
Tanah Rata ist weder besonders groß, noch besonders schön.
Bekannt sind die Cameron Highlands für ihre Teeplantagen …
…. und Erdbeerfelder.

Mit dem Bus fahren Alex und ich die kurvige Strecke von Ipoh in die rund 100 Kilometer entfernte Bergstadt. Die Fahrt dauert fast drei Stunden, der Bus überwindet mehr als 1400 Höhenmeter. Dafür ist es beim Wandern schön kühl. Während der Woche, die wir in Tanah Rata verbringen, gehen wir die Wanderwege 4, 5, 6, 7 und 10.

Bei 25 Grad steigen wir hinter Patrick, roter Bart und rotes T-Shirt, den steilen Dschungelpfad Nummer 10 den Berg hinauf. Im Dickicht neben ihm, zwischen Farnen und Lianen, zwitschern die Vögel, zirpen Zikaden. In der Luft hängt der Duft von feuchter Erde.

Die malaysischen Wanderwege sind nicht mit denen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz vergleichbar. Sie sind zwar nicht besonders anspruchsvoll, aber weniger gut instand gehalten und kaum ausgeschildert.

Für Patrick ist das kein Problem. Von Mai bis September arbeitet er als Tourguide in Alaska, er bewegt sich oft in entlegenen Gegenden. Nur die Luftfeuchtigkeit, die macht auch ihm zu schaffen. Immer wieder zieht er seine schwarze Baseballmütze vom Kopf, wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Wenigstens ist es nicht so heiß wie in Manila“, sagt er und lächelt. In der philippinischen Hauptstadt lebt seine Freundin, dort hat er die vergangenen Monate verbracht.

Rund 45 Minuten nach dem Treffen mit dem wütenden Hunderudel treten wir aus dem Wald heraus. Nur wenige hundert Meter trennen uns noch vom Gipfel. Oben angekommen holen wir unsere Kameras aus den Rucksäcken. Der Blick auf Tanah Rata auf der einen Seite des Hügels, die grünen Sträucher einer Teeplantage auf der anderen ist umwerfend.

Auf einer Lichtung ein Stück weiter treffen wir Sawi, einen Schmetterlingsfänger. An diesem Nachmittag hat er allerdings schon Feierabend. Den großen Kescher hat er an einen Busch gelehnt, in seinem Schoß liegt eine Gitarre. „Die Schmetterlinge fliegen nur bis 13 Uhr“, erklärt Sawi und fängt an zu spielen: Led Zeppelin, John Denver und die Chili Peppers. Er ist wie eine Jukebox, mag gar nicht mehr aufhören. „Kennt ihr das?“, fragt er nach jedem Lied und schlägt ein neues an.

Tage später treffe ich den Schmetterlingsfänger im Wald wieder. Dieses Mal hatte er mehr Glück. Er zeigt mir eine große Zikade. Das Insekt hat lange, schwarze Flügel, ein rotes Kreuz auf dem Rücken und einen hellgelben Kragen. Es liegt ganz ruhig in Sawis Händen. „Lebt sie noch?“, frage ich. Sawi nickt: „Du kannst sie ruhig berühren!“ Ich schaue ihn belustigt an, gehe aber lieber weiter den Berg nach oben. Ich folge den Wanderwegen 10 und 6 zur Bharat-Teeplantage.

 

Der Dschungelpfad Nummer 10 ist einer von 14 Wanderwegen in und um Tanah Rata.
Geschafft! Alex und Patrick am Ende des Dschungelpfads Nummer 10.
Der Blick die grünen Sträucher einer Teeplantage ist umwerfend.
Privatkonzert: Schmetterlingsfänger Sawi spielt Led Zeppelin, John Denver und die Chili Peppers.
Zikade, frisch aus dem Kescher

Tee wird in den Cameron Highlands schon seit dem frühen 20. Jahrhundert angebaut. 1929 gründete der Brite John Archibald Russell die erste Hochlandteeplantage des Landes. Heute produziert unter anderem das Unternehmen BOH (kurz für „Best of Highlands“), das mittlerweile von Russells Enkelin Caroline geführt wird, etwa vier Millionen Kilogramm Tee pro Jahr – eine Menge, die für 5,5 Millionen Tassen Tee am Tag ausreicht. Angebaut wird auf einer Fläche von rund 1200 Hektar.

Mit etwa 243 Hektar ist die Teeplantage Sungei Palas, zwölf Kilometer nordöstlich von Tanah Rata, das kleinste der drei BOH-Anbaugebiete in den Cameron Highlands, weiß Francis Anthonysamy. Der 42-jährige Fremdenführer fährt Touristen im Geländewagen zu der Plantage und zum Mossy Forest, einem moosbewachsenen, jahrtausendealten Regenwald auf rund 2000 Metern Höhe.

Anthonysamy trägt eine hellgraue Weste über einem roten Polo-Shirt und graue Socken in den Wandersandalen. Er parkt seinen Landrover dicht neben den Teesträuchern an der Straße und wartet, bis alle Tour-Teilnehmer genügend Fotos von den ordentlich aufgereihten Bäumen gemacht haben. Erst dann beginnt er zu erzählen. Die meisten Pflanzen seien noch dieselben, die John Archibald Russell einst anpflanzen ließ, sagt Anthonysamy: „Die Teesträucher der Sorte Camellia sinensis können bis zu 100 Jahre alt werden.“

Geerntet werden die Blätter alle 21 Tage. „Wegen unseres guten Klimas ist das sogar ganzjährig möglich“, sagt Anthonysamy. Dann zeigt er auf einen Bereich ein Stück entfernt, auf dem braune statt grüne Sträucher sind. „Alle drei Jahre werden die Bäume gestutzt“, erklärt er. Dadurch bleiben sie in einer praktischen Höhe für die Pflücker. Nach drei bis vier Monaten wachsen die Blätter nach, und der Kreislauf beginnt von Neuem.

Seit den 1980er-Jahren werden die Teeblätter auf den Hügeln der Cameron Highlands maschinell geerntet. Mithilfe von benzinbetriebenen Apparaten kann jeder Erntende bis zu 300 Kilogramm am Tag pflücken. Das ist etwa zehnmal so viel bei der traditionellen Ernte von Hand.

Bis zur Teefabrik, wo die Blätter verarbeitet werden, sind es im Auto nur ein paar Minuten. Neben dem großen Gebäude am Ende der Straße befindet sich eine futuristische Ausstellungshalle mit dazugehörigem Café. Nach einem kurzen Gang durch die Fabrik mit Blick auf die Maschinen, die Blätterberge und die Arbeiter, dürfen wir dort ein Tässchen trinken, bevor Francis Anthonysamy uns zurück nach Tanah Rata fährt.

„Trinkt so viel ihr könnt, solange der Tee noch günstig ist“, rät er, nur halb im Spaß. Aufgrund des Klimawandels sei es gut möglich, dass die feinen Blätter demnächst zur Mangelware werden. „In nicht allzu ferner Zukunft könnte schon eine einzige Tasse 50 Euro kosten.“

Alex und ich genießen den Blick von der Aussichtsplattform des Cafés, trinken unseren Tee aber erst später in Tanah Ratas Zentrum. Dort ist er günstiger und die Schlange nicht so lang wie in der BOH-Plantage.

 

Tee wird in den Cameron Highlands schon seit dem frühen 20. Jahrhundert angebaut.
„In nicht allzu ferner Zukunft könnte schon eine einzige Tasse 50 Euro kosten“, sagt Francis Anthonysamy.
Der Mossy Forest ist ein jahrtausendealter Regenwald auf rund 2000 Metern Höhe.
Café und Aussichtsplattform der BOH-Teeplantage Sungei Palas
Mit etwa 243 Hektar ist die Plantage Sungei Palas das kleinste der drei BOH-Anbaugebiete in den Cameron Highlands.
Die Teesträucher der Sorte Camellia sinensis können bis zu 100 Jahre alt werden.
Erfolgsgeschäft: Das Unternehmen BOH produziert vier Millionen Kilogramm Tee pro Jahr.

An unserem vorletzten Tag in den Cameron Highlands erleben wir noch ein persönliches Highlight: die Oscar-Verleihung. Um 7 Uhr beginnt die Vorab-Show auf dem roten Teppich – in Deutschland ist es da gerade einmal Mitternacht. Obwohl die vielen Werbeunterbrechungen uns auch in diesem Jahr nerven, finden wir es wie immer herrlich mitzufiebern.

Warm eingekuschelt liegen wir unter unseren Bettdecken, als die Preisverleihung anfängt. In einem Word-Dokument haben wir vorab unsere Favoriten für alle 24 Kategorien aufgeschrieben. Wir tippen beide immerhin acht Mal richtig. Den Oscar für den besten Film hätten wir jedoch an Roma, nicht Green Book vergeben. Roma erscheint uns einfühlsamer, das Thema und die Umsetzung spezieller.

Am nächsten Morgen fahren wir zurück nach Ipoh. Um 11 Uhr verlässt der Bus Tanah Rata. Gut drei Stunden und 1400 Höhenmeter später sind wir zurück im heißen Tiefland. Wir schwitzen, kaum dass wir unsere Rucksäcke aus dem Bus holen. In der von Karstbergen umgebenen Kesselstadt sind es schon wieder mehr als 30 Grad. Pluspunkt für das nicht besonders schöne, aber schön kühle Tanah Rata.

 

In diesem Gebäudekomplex befindet sich unsere Unterkunft.
Der Blick vom Balkon …
… kann sich sehen lassen.

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