Virtuose Höhlentempel und veganes Huhn

Das Hühnchen schmeckt verblüffend echt. Würden wir nicht in einem Restaurant namens „Vegan Delights“ sitzen, würde ich wahrscheinlich denken, dass mir Fleisch untergejubelt worden wäre. Doch das Hühnchen ist kein Hühnchen. Unter einer knusprigen goldbraun-frittierten Hülle, umwickelt von einer Schicht extra zarten Fake-Fleischs, steckt ein Holzeisstiel, ein Fake-Knochen.

„Hammer, oder?“, sage ich zu Alex. „Wenn Fake-Fleisch immer so gut schmecken würde, wären bestimmt viel mehr Menschen Vegetarier!“ Es ist unser erster Abend in Ipoh, der Hauptstadt des malaysischen Bundesstaats Perak, rund 160 Kilometer südöstlich von George Town, unserer ersten Station in Malaysia.

 

Abendessen im „Vegan Delights“: Das Hühnchen ist kein Hühnchen.

Mit dem Fernbus sind wir am Nachmittag am Busbahnhof von Ipoh angekommen. Die Fahrt führt über breite Autobahnen vorbei an Palmölplantagen. Die Stämme ragen strichgerade in den Himmel.

Es ist ein trauriger Anblick. Der Urwald, der Malaysia früher bedeckte, ist zum großen Teil gerodet. Palmöl heißt die Währung, mit der sich gut verdienen lässt. Es ist das meistangebaute Pflanzenöl der Welt und in jedem zweiten Supermarktprodukt enthalten. Malaysia ist nach Indonesien der zweitgrößte Exporteur.

Vermutlich wurde auch unser Fake-Huhn in Palmöl frittiert. Wir fragen lieber nicht. Zu Fuß gehen wir nach dem Essen zurück zu unserer Unterkunft. Eine Woche verbringen wir in einem Zimmer im zweiten Stock des Hauses einer malaysischen Familie, die wir allerdings nur selten treffen.

Jeden Morgen frühstücken wir auf der Dachterrasse, außerdem verbringen wir viel Zeit am Laptop, um zu arbeiten. Das ist für mich eine der schwersten Hürden auf der Reise: Am Schreibtisch zu sitzen, wenn ich stattdessen eine neue Stadt erkunden könnte. Alex fällt das leichter. Obwohl er als Grafiker sehr viel gestaltet und illustriert, zeichnet und werkelt er auch in seiner Freizeit gerne.

Abends schauen wir uns Filme an: Green Book, The Favourite, Bohemian Rhapsody, A Star is Born. Die Oscar-Saison hat begonnen. Alex sieht sich die Oscar-Verleihung schon seit Jahren an. Seit 2017 teilen wir die Tradition. In den Wochen vor der Verleihung sehen wir uns so viele der nominierten Filme wie möglich an.

Selbstverständlich besichtigen wir auch Ipoh. Die 660.000-Einwohner-Stadt ist umringt von Hügeln, in denen früher Zinn gefördert wurde. Wir beginnen unseren Rundgang am schönen, weißen Bahnhof, der von den Einwohnern angeblich als „Taj Mahal Ipohs“ bezeichnet wird.

Am ebenso schönen, weißen Rathaus vorbei gehen wir weiter in die Altstadt, wo wir Graffiti und Gebäude aus der Kolonialzeit fotografieren, Fish’n’Chips und Käsekuchen essen. Die Innenstadt ist voll Cafés und hipper Burgerläden. Während wir durch die engen Gassen schlendern, stellen wir fest: Malaysia ist ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Da der Islam Staatsreligion ist, hatten wir eine sehr viel verschlossenere Gesellschaft erwartet. Unsere Vorurteile bestätigen sich wieder einmal nicht. Am frühen Nachmittag fahren wir zurück zu unserer Unterkunft. Als wir zu Hause ankommen, fängt es wolkenbruchartig an zu regnen.

 

Alex vor dem Rathaus in IPOH – wow!
Der 1917 eröffnete Bahnhof wird von den Einwohnern angeblich als „Taj Mahal Ipohs“ bezeichnet.
Überwucherte Kolonialgebäude in der Innenstadt
Malaysia ist ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten.
Wohnviertel mit Streetart
Nicht nur George Town ist für seine Graffiti bekannt.
Auch in Ipoh sind viele Wände mit Streetart verziert.
Always gonna be a cat person.
Wo sind wir noch mal?

Am folgenden Tag fahren wir zum Perak-Höhlentempel, sechs Kilometer nördlich der Innenstadt. Zwischen zwei steinernen Löwen hindurch gehen wir ins Innere. Die Gebetsstätte ist in eine Bergwand eingelassen. Eine kluge architektonische Entscheidung: In der Höhle ist es deutlich kühler als draußen, wo die Sonne brennt.

Der Tempel ist gut besucht. Von Touristen wie uns, die die virtuosen Felsmalereien fotografieren, aber auch von Gläubigen, die vor der goldenen, zwölf Meter hohen Buddha-Statue niederknien und pinke Kerzen in Lotosform anzünden. Es riecht nach feuchtem Stein und Räucherstäbchen.

Alex und ich gehen bis zum Ende der Höhle. Auf der linken Seite führt eine Treppe hoch ins Freie. Von dem Plateau kann man noch weiter nach oben gehen, immer höher den Berg hinauf zum Gipfel. Vor uns im Tal liegt das Industriegebiet von Ipoh, am Horizont reihen sich die Karstberge.

 

Ipoh ist bekannt für seine Höhlentempel. Der Perak Tong ist in einen 120 Meter hohen Kalkfelsens eingelassen.
Der müde Bewacher der Gebetsstätte
Chinesische Schriftzeichen am Tempeleingang
Der Perak Tong wurde 1926 von chinesischen Einwanderern gegründet.
Mehr als 40 Buddhastatuen und zahlreiche Gemälde aus der chinesischen Sagenwelt befinden sich im Inneren.
Blick von der Aussichtsplattform auf dem Gipfel

Wir fahren zurück ins Zentrum, ins Viertel Little India. Der Name steht als schwarzer Schriftzug auf einem weißen Metalltorbogen. Dahinter tut sich eine neue Welt auf: Läden mit lilafarbenen, grünen, roten indischen Gewändern, Auslagen voller Gewürze, Restaurants und Coffeeshops.

Wir gehen in ein Restaurant, von dem wir in unserem Reiseführer gelesen haben, bestellen Curry, Naan-Brote, Mango-Lassis und Zitronenreis. Es ist unfassbar lecker – und viel zu viel. Wir nehmen die Reste mit nach Hause.

Malaysia ist kulinarisch gesehen das abwechslungsreichste Land, in dem wir bisher waren. Neben der indischen, der chinesischen und der malaiischen Küche gibt es zahlreiche westliche Restaurants und Cafés, dazu überraschend viele Lokale mit veganen Speisen.

Das „Vegan Delights“ besuchen wir am Ende der Woche noch einmal. Alex bestellt Fake-Lamm, ich Fake-Ente. Beides ist sehr lecker. Wenn Fake-Fleisch immer so gut schmecken würde, wären definitiv mehr Menschen Vegetarier.

 

Im Viertel Little India gönnen wir uns Currys, Naan-Brote, Zitronenreis und Fruchtshakes.
Nach dem Restaurantbesuch geht’s um die Ecke ins chinesische Café. Malaysia ist kulinarisch wunderbar vielfältig.
Böser Kaffee: Die Bohnen des White Coffee werden in Palmöl-Margarine geröstet, den Kaffee gibt’s mit Kondensmilch.

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