Bitte lächeln!

Gibt es ein niedlicheres Tier als ein Quokka? „Definitiv nein“, denke ich. Das Kurzschwanzkänguru neben meinen Füßen sieht aus, als würde es mich freundlich anlächeln. Neugierig kommt das Wesen mit dem dichten, braunen Fell und den Knopfaugen näher. Es reicht mir gerade einmal bis zum Schienbein und es vermutet Futter in meinem Rucksack. Zurecht, darin sind Brote und Müsliriegel, aber davon darf ich dem Kleinen leider nichts abgeben. Füttern ist auf der Insel Rottnest verboten. Wer dabei erwischt wird, muss 150 australische Dollar Strafe zahlen, das sind rund 93 Euro.

Zwischen 6000 und 12.000 Quokkas leben auf der Insel vor der Westküste Australiens. Weil sie dort so gut wie keine Fressfeinde haben, sind sie sehr zutraulich. Auf dem australischen Festland kommen die Mini-Kängurus dagegen fast nicht mehr vor. Früher waren sie in den Sümpfen des Südwestens verbreitet. Doch zu Beginn des 19. Jahrhunderts schleppten die Europäer Füchse, Hunde und Katzen ein und die machten den furchtlosen Quokkas den Garaus.

Auf Rottnest Island leben bis heute keine Füchse, Hunde oder Katzen. Als der niederländische Seefahrer Willem de Vlamingh die Insel 1696 erreichte, hielt er die allgegenwärtigen Quokkas für übergroße Ratten. Er nannte sie deshalb „Rotte Nest“, Rattennest. Für die australischen Ureinwohner, die bereits vor etwa 30.000 Jahren auf dem Eiland lebten, war sie Wadjemup, der „Ort auf der anderen Seite des Wassers, wo die Geister sind“.

 

„Rotto“ liegt rund 18 Kilometer entfernt vom Festland vor der Küste Westaustraliens.
Zwischen 6000 und 12.000 Quokkas leben auf der Insel.
Die australischen Ureinwohner Whadjuk Noongar nannten die Kurzschwanzkängurus „Quak-a“.

„Schau mal, Mister Quokka!“ Alex hält einen Finger über die Stupsnase eines der Beuteltiere, die auf dem sandigen Boden um ihn herum nach Nahrung suchen. Das Quokka stellt sich auf die Hinterbeine, guckt in die Kamera. Klick! Ein weiteres perfektes Quokka-Selfie. Wir sind wie verzaubert von unseren neuen Freunden, können uns kaum von der Gruppe trennen, die wir im Schutz einiger Bäume vom Fahrrad aus erspäht haben.

Erst nach einer guten halben Stunde radeln wir weiter. Wir sind noch nicht weit gekommen auf unserer Tour um die elf Kilometer lange Insel, die wegen ihrer schönen, weißen Sandstrände und des türkisblauen Meers auch bei Badegästen und Tauchern beliebt ist.

Seit dem späten Vormittag befinden wir uns auf Rottnest Island. Mit dem Zug sind wir morgens von Perth in die Hafenstadt Fremantle gefahren, von dort ging es mit der Fähre weiter auf die 18 Kilometer vom Festland entfernte Insel. Am Pier dürfen wir unsere Leihfahrräder entgegennehmen. Sie sind schwer und haben keine Gangschaltung. Dafür ist die Landschaft hügeliger als gedacht.

 

Mit dem Fahrrad erkunden wir die elf Kilometer lange und bis zu 4,5 Kilometer breite Insel.
Dabei treffen wir immer wieder auf zutrauliche Kurzschwanzkängurus.
Wegen der Form ihres Mauls scheinen die kleinen Beuteltiere ständig zu lächeln.
Etwa zehn Prozent von Rottnest Island sind von Salzseen bedeckt.
Die Feuchtgebiete der Insel bieten vielen Watvogelarten ein Zuhause. Im Bild: der Weißgesicht-Stelzenläufer.

Langsam strampeln wir in Richtung des Wadjemup Lighthouse, eines der beiden Leuchttürme der Insel. Der Wind pfeift um unsere Ohren, kurz darauf fängt es an zu nieseln. Nein, zu regnen. Zu schütten. Wir fahren an den Straßenrand, werfen unsere Räder ins Gras, stellen uns unter einen Baum. Unter seinem dichten Geäst ist es trocken. Die Zweige rascheln – ein Quokka hatte dieselbe Idee wie wir.

Zusammen warten wir, bis der Regen nachlässt. „Bye, Mister Quokka“, sage ich, bevor ich aus dem Astwerk hinaustrete, mein nasses Rad hochstemme und weiterfahre. Wenige Meter weiter treffen Alex und ich die nächsten Quokkas, zwei erwachsene und ein etwas jüngeres. Wir knipsen Fotos davon, wie die Kurzschwanzkängurus die feuchte Straße ablecken. Gefährlich ist das weder für uns noch für die Tiere, denn bis auf ein paar Fahrzeuge der Verwaltung fahren keine Autos auf der Insel.

Bevor wir Rottnest verlassen, nehmen wir an einem kostenlosen Spaziergang der Rottnest Voluntary Guides Association teil. Unser Führer Eric bringt uns zu den Büschen hinter dem Settlement, dem einzigen Dorf der Insel, wo viele Quokkas ihre Jungen aufziehen. „Quokkas sind eigentlich nachtaktiv“, erklärt Eric. „Tagsüber sitzen sie die meiste Zeit unter einem Busch oder einem Baum und schlafen.“ Der 77-jährige Rentner wohnt mit seiner Frau drei Stunden entfernt auf dem Festland. Einmal im Monat kommt er für ein paar Tage, um Besucher herumzuführen und zu fischen. Abends, wenn die meisten wieder weg sind, sei es unglaublich ruhig am Strand, sagt er.

 

Bitte lächeln! Wir sind wie verzaubert von unseren neuen Freunden.
Das Wadjemup Lighthouse ist eines von zwei Leuchttürmen der Insel.
Rottnest war nicht immer ein Urlaubsort: Auf ihr befanden sich Internierungslager und ein Gefängnis für Aborigines.
Don’t give up: Nachdem sie vom Blitz getroffen wurde, wollte diese Palme weiterleben.

Den Abend erleben wir leider nicht mit. Wir müssen zurück nach Perth, um unsere Pflegekatze Mila zu füttern. Schon in Malaysia haben wir uns auf einer Housesitting-Plattform angemeldet und uns für einen Sit in Australien beworben. Kurz darauf bekamen wir die Zusage von Kate, die ihre Familie nahe Melbourne zwei Wochen lang besuchen und ihre Katze solange nicht unbeaufsichtigt wissen möchte. Kate wohnt lustigerweise in der Nähe von Taeko, in deren Haus wir die vergangenen zwei Wochen verbracht haben. Wir kennen uns also schon aus in ihrer Nachbarschaft.

Ich bin ein bisschen aufgeregt, als wir unser Auto vor Kates Garage abstellen und klingeln. Wie sie wohl sein wird? Und die Katze? Wie das Haus innen aussieht? Ein bisschen verrückt kommt es mir schon vor, dass Kate uns so ohne Weiteres ihr Heim und ihr Haustier anvertraut. Auf der Housesitting-Plattform mussten wir zwar unsere Daten angeben, trotzdem weiß sie nicht wirklich, wen sie sich ins Haus holt. Wir sind komplett Fremde, haben bisher nicht einmal telefoniert miteinander.

Kate öffnet die Tür. Sie ist Mitte 60, trägt ein schulterfreies Kleid mit Blumenmuster, einen grauen Pagenschnitt und eine schwarz umrahmte Brille. Während sie uns von Raum zu Raum führt, plappert sie unbedarft, schnell und fast ohne Pausen. Alex und ich haben Probleme sie zu verstehen, die australischen Begriffe machen es uns nicht leichter. Kates Frage „Have you already had tea?“ bezieht sich zum Beispiel nicht auf Tee, sondern auf das Abendessen.

Die ehemalige Krankenschwester lädt uns zum Sushi ein. Am Esstisch können Alex und ich nicht anders als zu grinsen. Was für ein Glück wir haben: Kates Haus ist riesig, hell, schön eingerichtet. Es hat drei Schlafzimmer, zwei Bäder, ein großes Wohn-Esszimmer und eine Terrasse. Dort liegt Mila auf dem Tisch in ihrem Körbchen. Sie ist eine Russisch-Blau-Katze mit grauem Fell und grünen Augen. Als wir zu ihr gehen, springt sie auf. Schnurrend streift sie um unsere Beine. „Ich sehe schon, ihr könnt gut mit Katzen“, sagt Kate. Sie macht sich offenbar keine Sorgen um Mila.

 

Kate und ihre Russisch-Blau-Katze Mila
Alex und Mila auf der Terrasse. Zwei Wochen lang kümmern wir uns in Perth um sie.

Am folgenden Morgen lässt Kate sich sehr früh vom Taxi abholen. Zum ersten Mal auf der Reise haben wir ein Haus für uns, genug Zeit, um zu arbeiten, die Gegend zu erkunden – und dazu eine Katze. Was für ein Luxus!

Wir besuchen das Kulturzentrum in Perths Innenstadt, die Kunstgalerie Westaustraliens und das Zentrum für zeitgenössische Kunst. Wir spazieren durch den Garten des Obersten Gerichtshofs zum Elizabeth Quay, dem neuesten Viertel Perths an der Flusspromenade. Wir fahren zum Cottesloe Beach und machen einen Ausflug ins Swan Valley. In dem Weinanbaugebiet beidseitig des Swan Rivers sehen wir zum ersten Mal die typisch rote Erde und das Buschland Australiens. Außerdem besuchen uns Ilo und Chris, die im Campervan durch Westaustralien reisen werden. Ilo kommt wie Alex aus Bad Wildbad, die beiden kennen sich aus der Schule.

 

G’day, mate! Im Zentrum Perths trifft Alex zum ersten Mal ein Känguru.
Der 82 Meter hohe Bell Tower ist eins der Wahrzeichen Perths.
Mehr als zwei Millionen Menschen leben in der größten Stadt Westaustraliens.
Abendessen am Swan River. Im indischen Restaurant Annalakshmi bezahlen die Besucher, so viel sie möchten oder können.
Der Cottesloe Beach ist seit mehr als 100 Jahren der beliebteste Badeort der Einheimischen.
Wir besuchen den Strand gut eingepackt im australischen Herbst.
Besuch aus der Heimat: Ilo und Chris reisen im Campervan durch Westaustralien.

Mila ist pflegeleicht. Sie braucht nur etwas Futter, Wasser und Schmuseeinheiten. Anfangs ist sie noch ein bisschen schüchtern, bleibt lieber auf der Terrasse als bei uns. Doch schon nach zwei, drei Tagen würde sie am liebsten bei uns im Zimmer übernachten. Sobald wir morgens die Türe öffnen, springt sie aufs Bett, stapft über die Decke, fährt schnurrend die Krallen ein und aus. „Wir nehmen dich einfach mit“, lüge ich und kraule sie zwischen den Ohren. „Wir packen dich in den Rucksack.“

Auf der Plattform Gumtree, die ähnlich funktioniert wie Ebay Kleinanzeigen, finden wir eine Schaumstoffmatratze, einen Kochtopf, Tassen, Teller und einen Doppelschlafsack für unseren Roadtrip. Eine Pfanne und Bettbezüge kaufen wir im Supermarkt. Außerdem besorgen wir einen Benzinkanister für den Fall, dass wir im Outback einmal keine Tankstelle finden. Mit mehr als 7,6 Millionen Quadratkilometern ist Australien immerhin das sechstgrößte Land der Welt.

Es fällt uns schwer, Mila in Perth zurückzulassen. Am Morgen unserer Abreise füttern wir unsere Katze ein letztes Mal. Mit ihrem weichen, grauen Fell und ihren hellen, grünen Augen ist sie fast so niedlich wie ein Quokka.

 

So süß!

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