Neighbours

Die Fliegen krabbeln an den Fenstern, an den Sitzen und kopfüber an der Autodecke. Unmöglich, so zu schlafen. Zu viel Surren, zu viel Krabbeln. „Lass uns doch noch eine Runde fahren“, schlägt Alex vor. Eigentlich habe ich keine Lust, noch einmal alles umzubauen, die Rucksäcke und die Essenskisten von den Vordersitzen in den Kofferraum zu legen. Hilft aber nichts. Bevor die Sonne untergeht, müssen wir die Fliegen loswerden.

Wir übernachten auf dem Campingplatz der Dales-Schlucht im Karijine-Nationalpark. Zwei Tagen vorher haben wir die Küste verlassen, sind zurück ins Revier der Buschfliegen gefahren, die zu Tausenden durchs Outback schwirren. Im Gegensatz zum Beginn unseres Roadtrips sind wir auf diese Plage jetzt aber viel besser vorbereitet. Mit den Gesichtsnetzen, die wir gekauft haben, nerven die Insekten zwar immer noch, aber ihr Stressfaktor ist viel geringer.

 

Auf seeeehr geraden Straßen fahren wir von der Küste ins Outback.
Am Straßenrand bauen Termiten beeindruckende Hügel. Sie erreichen bis zu sieben Meter Höhe.

Nachts wollen wir die Gesichtsnetze aber nicht auch noch tragen. Ich wuchte meinen Rucksack in den Kofferraum und setze mich ans Steuer. Alex steigt neben mir ins Auto. Ich schaue ihn an: „Ready?“ „Yes!“ So schnell wie möglich fahre ich um die Büsche in der Mitte des Campingplatzes. Sehr schnell ist das nicht, aber schnell genug, dass die anderen Camper sich nach uns umschauen. Alex wirbelt mit einem T-Shirt an der Heckscheibe herum, um die Fliegen zu vertreiben. „Kisch, kisch, kisch!“, ruft er.

Wir fühlen uns latent bescheuert, aber die Methode funktioniert. Als wir die Runde beendet haben, sind fast keine Fliegen mehr im Auto. Dafür ist unser Platz belegt. Gleich zwei Autos stehen da, wo wir vorher geparkt haben: Wildcamper, die sich nicht an der Rezeption angemeldet haben. Denn die hätte ihnen eine andere Nummer zugewiesen.

Da wir nicht selbst aus Versehen den Platz anderer belegen wollen, steigt Alex aus und bittet die Neuankömmlinge, unseren Stellplatz freizugeben. Sie parken nebenan. Zu dem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass ihre Freunde im Van links von uns übernachten. Die Party beginnt wenig später. Mit Bongos, Joints, Lagerfeuer und Gitarre feiern unsere Nachbarn bis spät.

Für sie ist sie bestimmt wild-romantisch, diese Nacht im Outback, mit Musik unter den Sternen. Wir dagegen liegen im Auto und haben Kopfweh. Von der Sonne, den rumpelnden Schotterstraßen und den Bongos. „Ich bin zu alt für das hier“, sage ich zu Alex und komme mir dabei vor wie Tante Prusseliese aus Pippi Langstrumpf: die Spielverderberin, die keinen Spaß versteht. Seit wir campen, ist mein Körper daran gewöhnt, spätestens um 22 Uhr zu schlafen. Unser Rhythmus hat sich an die Tages- und Nachtzeiten angepasst. Um aus dem Auto zu steigen und mitzufeiern fehlt mir die Kraft. Und die Lust, wenn ich ganz ehrlich bin. Ich will einfach nur schlafen.

 

Schotterstraßen führen durch den Karijine-Nationalpark.
Mit rund 627.500 Hektar Fläche ist er der zweitgrößte Nationalpark Westaustraliens.
Der Park ist für seine Schluchten und natürlichen Schwimmbecken bekannt. Das ist der Blick vom Aussichtspunkt Oxer.
Alex kocht Chili sin Carne, bevor die Sonne untergeht. Wir lernen aus unseren Fehlern.

Am Morgen darauf räumen wir früh unsere Sachen um und fahren zum Parkplatz der Dales-Schlucht ein paar Kilometer weiter. Wir frühstücken Müsli und Nutellabrote, packen unsere kleinen Rucksäcke und ziehen die Gesichtsnetze über. Fast alle Nationalparkbesucher tragen eine ähnliche Kopfbedeckung. Buschfliegen sind die zahlreichsten Bewohner des Karijine. Der zweitgrößte Nationalpark Westaustraliens liegt 300 Kilometer südlich der Küste im Landesinneren. Er ist bekannt für seine Schluchten und natürlichen Schwimmbecken. Zwei Tage lang fahren wir auf seinen staubigen, roten Schotterstraßen von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt.

In der Weano-Schlucht folgen wir einem Bachlauf zwischen engen Felswänden hindurch zu einem tiefen Schwimmbecken. In der Dales-Schlucht wandern wir drei Stunden im Schatten von Felsüberhängen und Eukalyptusbäumen vom Fortescue-Wasserfall zum Circular-Tümpel. Das Wasser im Becken unter dem Wasserfall ist so kalt, dass wir es keine zehn Minuten darin aushalten.

 

Im Karijine-Nationalpark wandern wir durch die Dales- und die Weano-Schlucht.
Die angeblich schwierigste Wanderklasse 5 ist selbst für uns gut machbar.
Ein enger Pfad führt durch die Weano-Schlucht zum Handrail-Pool.
Fast alle Touristen im Park tragen ähnliche Gesichtsnetze wie wir. Die Buschfliegen sind allgegenwärtig.
Die Dales-Schlucht ist von Bäumen und Büschen bewachsen.
Drei Stunden lang wandern wir vom Fortescue-Wasserfall zum Circular-Tümpel.
Poolgäste: Das Wasser im Becken unter dem Wasserfall ist zu kalt, um es lange darin auszuhalten.

Die Fahrt nach Port Hedland am Nachmittag zieht sich, obwohl sie nur zwei Stunden dauert. Die Straßen durchs Outback sind kerzengerade und scheinbar endlos lang. Um nicht beim Fahren einzuschlafen, höre ich Podcasts und drehe die Klimaanlage auf. Die kalte Luft, die mir ins Gesicht pustet, hilft, die Augen aufzuhalten. Alex döst auf dem Beifahrersitz. Wir haben nachts beide weder viel noch gut geschlafen.

Gegen 16 Uhr erreichen wir den Campingplatz in Port Hedland, für den wir uns entschieden haben. Er liegt am Strand der unscheinbaren Küstenstadt, die einen der größten Schüttgut-Häfen weltweit haben soll. Rund 450 Millionen Tonnen Eisenerz werden jährlich aus Port Hedland verschifft. Von der offenen Küche unseres Campingplatz können wir aufs Industriegebiet hinüberschauen.

Dort kocht Alex frittierten Reis mit Gemüse, während ich am Strand sitze und auf die Wellen starre. Die Fahrt hat meine Kräfte aufgezehrt. Ich bin erschöpft und habe keine Geduld mehr dafür, eine Gasflasche in unseren schon etwas lädierten Campingkocher zu pfriemeln. Stattdessen schaue ich einem Einsiedlerkrebs in einer Muschel dabei zu, wie er versucht, eine Düne hinaufzukrabbeln. Jedes Mal kullert er wieder hinunter. Als ich zurück in die Küche komme, ist Alex‘ Essen schon fast fertig.

 

Die Aussicht von einem Rastplatz auf dem Weg nach Port Hedland kann sich sehen lassen.
Im Outback wird das Essen zur Herausforderung. Überall sind Buschfliegen.
In Port Hedland übernachten wir auf einem Campingplatz am Strand.
Während Alex frittierten Reis mit Gemüse kocht …
… schaue ich einem Einsiedlerkrebs beim Krabbeln und Kullern zu.

Am nächsten Morgen schlafen wir aus. Beim Frühstück beschließen wir, unseren Aufenthalt in Port Hedland um eine Nacht zu verlängern. Wir brauchen eine Pause vom Fahren und den Buschfliegen. Den Tag verbringen am Pool und in dem stickigen Aufenthaltsraum, dessen Möbel wahrscheinlich noch aus den 90er-Jahren stammen. Er hat WLAN und eine Klimaanlage. Abends telefonieren wir mit unseren Familien, spazieren am Strand entlang und plaudern in der offenen Küche mit unseren Zeltnachbarn, während wir Nudeln mit Kohl und Pesto zubereiten.

Die meisten, die wir treffen, sind Australier auf der Durchreise. „Was macht ihr in Port Hedland?“, will ein älterer, beleibter Mann ohne T-Shirt wissen. Dieselbe Frage könnten wir ihm auch stellen, denke ich, sage aber nur, dass wir auf dem Weg nach Darwin sind. „Ihr solltet lieber am Eighty Mile Beach zelten. Dort ist es schöner und man kann gut fischen“, sagt er und wendet seine Frikadelle. Wir begegnen nur wenigen Australiern, die kein Fleisch essen. Wahrscheinlich deshalb sind in fast jedem Park des Landes Grills aufgestellt, die man kostenlos oder gegen eine kleine Gebühr nutzen kann.

Wir haben zwar nicht vor zu fischen, fahren tags darauf trotzdem zum knapp 250 Kilometer entfernten Eighty Mile Beach. Mit rund 220 Kilometern Länge müsste er eigentlich Nearly One Hundred Thirty Seven Mile Beach heißen. Muscheln und graue, schwammartige Korallen liegen auf dem hellen Sand, der sich rechts und links zum Horizont ausstreckt. Barfuß waten wir auf die Wellen zu, hinter denen am frühen Abend die Sonne im Meer versinkt. Wir sind die einzigen unter 60, denken wir belustigt und freuen uns: Die Rentner hier gehen bestimmt so früh ins Bett wie wir. Zurück auf dem Campingplatz sehen wir eine Reihe hinter unserem Auto den weißen Van der Bongo-Leute.

 

Der Eighty Mile Beach liegt rund 250 Kilometer östlich von Port Hedland.
Der Strand ist einer der wichtigsten Orte der Watvogelforschung im Nordwesten Australiens.
Angespült aus dem Meer: Graue, schwammartige Korallen liegen auf dem Sand.
Alex auf Motivsuche
Am frühen Abend geht hinter den Wellen die Sonne unter.

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