Die Fahrradkette reißt zum Glück erst auf dem Rückweg. Alex, Stephan und ich radeln schwitzend an der Hauptstraße entlang. Wir wollen zum Khao Dinsor, einem Aussichtspunkt, der bei Ornithologen beliebt ist, da von Mitte August bis Mitte November viele Raubvögel vorbeifliegen.
Es ist Mitte Januar und die Aussicht auf vorbeifliegende Raubvögel gering, aber das sind auch die Sehenswürdigkeiten um Saphli, dem Dorf, in dem Alex und ich zwei Wochen bleiben. Wir sind also nicht zu anspruchsvoll, wenn es darum geht, unserem Gast die Gegend zu zeigen.
Stephan, 34, ist ein Freund von Alex und seinem Bruder Waleri und kommt, wie die beiden, aus Bad Wildbad. Er arbeitet bei einem Autokonzern und hat sich ein Sabbatjahr genommen, um in seinem VW-Bulli erst Europa, dann mit dem Flugzeug Südostasien und Australien zu erkunden.
Er reist an einem Samstagabend mit dem Rollertaxi aus der nächstgrößeren Stadt Chumpon an, um mit uns ein paar Tage am Golf von Thailand zu verbringen. Warum auch nicht, Saphli liegt auf dem Weg nach Malaysia, und das möchte Stephan bald zusammen mit drei Arbeitskollegen bereisen.
Alex und ich sind fünf Tage eher angekommen und fühlen uns längst heimisch in unserer kleinen Wohnung, die voll massiver Holzmöbel und gruseliger Bilder ist. Das zwei-Zimmer-Häuschen steht in einem Palmenhain, nur einen Steinwurf entfernt von drei identischen Häuschen und einem etwas größeren Haus. Darin leben Nam und Mogens, die Besitzer der idyllischen Miniatur-Ferienanlage.
Mogens holt uns mit seinem Jeep am Bahnhof in Chumpon ab. Er ist 73, kommt ursprünglich aus Dänemark und hat in Mexiko und Málaga gelebt, bevor er 2012 für die große Liebe nach Thailand gezogen ist. Die große Liebe, das ist Nam, 56, eine clevere Businessfrau aus Phitsanoluk, fünf Stunden nördlich von Bangkok, die in der Hauptstadt ein Geschäft für Damenbekleidung betreibt. Beziehungsweise betreiben lässt, inzwischen.
Nach zwei gemeinsamen Jahren in Bangkok wohnen die beiden nun in dem 2000-Einwohner-Ort Saphli, am Meer, wo auch Nams Schwester lebt und ein kleines Restaurant führt. Am Strand, direkt hinter der Palmenreihe, sind einige Restaurants, Hotels und Läden. Im Gegensatz zu bekannteren Thailand-Destinationen wie Koh Lanta oder Krabi ist die Provinz Chumphon touristisch aber noch herrlich unerschlossen. Man kann Stieleis aus der Kühltruhe kaufen, aber keinen Wodka aus dem Eimer.
Mogens hat kurzes, graues Haar, viele Lachfalten und eine schwarz umrandete Brille, die fast gleich aussieht wie meine. Er arbeitet noch immer sporadisch als Psychologe, hält ab und zu Vorträge an skandinavischen Universitäten.
Er fährt das Küstenstück entlang und zeigt uns das Restaurant seiner Schwägerin, bevor er in den Palmenhain vor seinem Grundstück abbiegt. „Ich bin mir sicher, dass ihr euch wohlfühlen werdet“, sagt er auf Englisch, mit dänischem Akzent. Der Satz könnte arrogant wirken, wenn es nicht so offensichtlich wäre, dass er schlicht überzeugt ist von seinem Angebot. „Bisher haben alle, die bei uns waren, ihren Aufenthalt verlängert.“
Der Schotter knirscht, als der Jeep in die Einfahrt rollt. Mogens parkt ihn unter einem Carport. Das Häuschen sieht noch viel schöner aus als auf den Bildern im Internet. Wir haben es für eine Woche gebucht und das Erste, was ich denke, ist: Wenn die erste Nacht gut wird und das Häuschen frei ist, möchte ich hier auf jeden Fall auch länger bleiben. Auf der überdachten Terrasse, am Tisch, könnten Alex und ich gut arbeiten. Umringt von Palmen. Wenn ich mich darauf konzentriere, kann ich in der Ferne sogar die Wellen rauschen hören.
Mogens sperrt die Tür auf und zeigt uns das Innere. So viel Platz, nur für uns beide! Abends fährt Nam mit uns ins rund drei Kilometer entfernte Dorf. Dort findet jeden Abend ein Markt statt, auf dem Obst und Gemüse, getrockneter Fisch, fertige Salate und Mango-Sticky-Rice verkauft werden. Direkt neben dem Markt ist ein 7-Eleven. Unsere Lebensmittelversorgung ist gesichert.
Am Tag darauf fahre ich trotzdem mit Nam und Mogens nach Chumpon. Die beiden erledigen ihren wöchentlichen Großeinkauf im Supermarkt, wo alles ein bisschen günstiger ist und die Auswahl etwas größer. Außerdem besorgen sie zwei Fahrräder für uns und unsere Nachfolger.
Die vier Räder, die schon da sind, nutzen unsere Nachbarn. Im Haus neben uns wohnt ein deutsches Paar. Er ist pensionierter Polizist, sie geht nächstes Jahr in Rente. Dann werden die beiden fünf Monate am Stück in Saphli verbringen. Die Reservierung für 2020 steht schon.
In den beiden anderen Häusern wohnen ein älteres Schweizer Ehepaar und ein russisches Pärchen, das etwa in unserem Alter ist. Sie bekommen wir aber nur aus der Ferne zu Gesicht. Man grüßt sich.
Nach unserer ersten Nacht frühstücken Alex und ich auf der Terrasse. Es gibt Obst, Joghurt, Kaffee und Müsli. Um uns herum zirpen die Grillen. Sie haben uns nachts kaum schlafen lassen. Genauso wenig wie die dauerquakenden Frösche. Wir sind die Laute der Natur nicht mehr gewohnt, mussten die Fenster schließen, um endlich in einen unruhigen Schlaf zu fallen. Ich möchte trotzdem länger bleiben. „Wir gewöhnen uns bestimmt daran“, sage ich zu Alex bei meinem letzten Schluck Kaffee.
Gegen 11 Uhr fahren Nam, Mogens und ich in die Stadt. Wir halten an einem Baumarkt, bevor wir zum Supermarkt fahren. Nach einem weiteren Stopp an einer Tierhandlung und einem Besuch im Fahrradladen gehen wir in eine Shopping Mall, wo Mogens zwei neue Hemden kauft für seine bald anstehende Geschäftsreise nach Norwegen.
Ich komme mir ein bisschen vor wie bei den Ausflügen nach Singen oder Konstanz mit meiner Mutter und meiner Schwester, als ich 14 war und wir einen Laden nach dem anderen abliefen, um all die kleinen Dinge, die es bei uns im Dorf nicht gab, zu besorgen. Erst um 15 Uhr kommen Nam, Mogens und ich zurück nach Saphli.
Während der folgenden Tage arbeiten Alex und ich tatsächlich viel auf der Terrasse und auf dem Sofa im Wohnzimmer. Mit unseren neuen Fahrrädern fahren wir zum Markt im Dorf und zum Meer. Einmal helfen wir bei einer Aufräumaktion am Strand, der nach dem Sturm Pabuk vor einer Woche von Plastikmüll und großen Palmwedeln bedeckt ist.
Abends kochen wir und schauen Filme, einmal essen wir im Restaurant von Nams Schwester. Wir bestellen frittierten Reis mit Gemüse und Papaya-Salat, können beim Essen aufs Meer blicken. Jeden Morgen fege ich die Böden (wir haben Ameisen und eine Erdwespe, die unbemerkt ein Nest an meinen Kulturbeutel gebaut hat) und mache Yoga. Ich bin immer früher wach als Alex, der gern ein bisschen länger schläft, dafür nachts aber noch eine Weile neben mir liest, während ich schon einnicke.
Nachmittags regnet es häufig. Ein, zwei, drei Stunden prasselt es heftig auf den Kies und auf die Palmen, während die Frösche quaken. Uns stört das nicht. Zum Arbeiten brauchen wir keine Sonne.
Stephan befreit uns vier Tage aus unserer Arbeitsroutine. Wir gehen zusammen schwimmen im Meer, reden lang auf der Terrasse, trinken Radler, spielen Taki. Und fahren mit den Fahrrädern zum Khao Dinsor.
Da alle anderen Fahrräder vergeben sind, leiht Nam uns ein Kinderfahrrad. Wir wechseln uns ab beim Fahren. Das kleine Rad hat keine Gänge, und auch wegen der Größe ist es anstrengender als mit den großen Fahrrädern, in der glühenden Hitze neben der viel befahrenen Straße zu fahren.
An der Abzweigung zum Khao Dinsor ketten wir die Räder im Wald an und gehen zu Fuß nach oben. Die Straße ist sehr steil, unsere T-Shirts kleben bald an den Oberkörpern. Mit roten Köpfen erreichen wir das Café am Aussichtspunkt. Stephans blondes Haar hängt ihm strähnig ins Gesicht. Mit seinem Dauergrinsen und den verschmitzten blauen Augen wirkt er trotz seines Vollbarts wie ein Lausbube.
Wir beschließen, noch ein bisschen weiter zu wandern und folgen einem Erdpfad durch die Büsche. Nach etwa 25 Minuten erreichen wir eine hölzerne Aussichtsplattform. Weit unter uns ist der Strand von Saphli, sind Palmen und Papayabäume. Aus dem Landesinneren ragen grüne Hügel. Die Wolken über ihnen sind grau, wir müssen uns beeilen, um nicht in den nachmittäglichen Regen zu geraten.
Auf dem Rückweg reißt die Kette des Kinderfahrrads. Stephan fährt trotzdem weiter, er nutzt das Rad wie einen Tretroller, sitzt seitlich darauf und schiebt es mit dem Fuß an, damit es ein paar Meter rollt. Wir tauschen später und ich versuche, es ihm nachzumachen, aber meine Beine sind zu kurz, ich komme nicht ganz auf den Boden. Stephan erbarmt sich meiner.
Zum Glück sind es nur neun Kilometer bis nach Saphli. An einer roten Ampel fahre ich zu einem Jeep, klopfe ans Fenster und frage den Fahrer und die Frau, die darin sitzen, ob sie Stephan das letzte Stück mitnehmen könnten. Die beiden sagen sofort ja. Eigentlich, denke ich, bitten wir andere viel zu selten um Hilfe.
Fast zeitgleich kommen Stephan, Alex und ich an unserem Häuschen an. Wir duschen, kochen Gemüsecurry und verbringen den Abend auf der Terrasse. Zwei Tage später verabschieden wir uns von unserem Besucher. Stephan möchte noch ein paar thailändische Inseln auskundschaften, bevor er nach Malaysia reist. Wir dagegen bleiben noch fast eine Woche in Saphli, in unserem Homeoffice unter Palmen.
sehr interessante Berichte.
Warum stellt ihr die Beiträge so viele Monate später in den Blog?
Liebe Stella, vielen Dank für deine liebe Nachricht!
Während der Reise kommen wir leider nicht so oft zum Schreiben, wie wir es gerne würden. Zum einen sind wir viel unterwegs, zum anderen arbeiten wir immer wieder an verschiedenen Projekten, um Geld zu verdienen und das hat dann Priorität, weil wir noch eine Weile unterwegs sein möchten 😉
Natürlich finden wir es auch sehr schade, mit dem Blog nicht up-to-date zu sein, aber da wir trotzdem Spaß daran haben und die Geschichten und Bilder gerne teilen mögen, bloggen wir eben mit Zeitverschiebung. Mit dem Gedanken: besser spät als gar nicht 😉
Viele liebe Grüße, Mella & Alex