Hua Hin und zurück

Lautlos steigen die Laternen in die Luft. Wie zu große, leuchtende Butterbrotpapiere schweben sie in den schwarzen Himmel, bis sie aussehen, als wären sie Sterne, Millionen Lichtjahre entfernt. Hinter einer Bucht, ein Stück den Strand hinunter, glitzert Feuerwerk über dem Wasser. Rote, blaue, weiße Funken künden knallend den Übergang ins Jahr 2019 an.

Umweltfreundlich sind Silvesterbräuche sicher nicht. Ich muss daran denken, wie die Hüllen der Lampions ins Meer fallen, sobald sie ausgebrannt sind, weil ihnen der Auftrieb fehlt. Gleichzeitig sehen die aufsteigenden Lichter so schön aus, dass ich den Gedanken kurzerhand verdränge, um mich einen Moment ganz auf das tiefe Gefühl der Dankbarkeit in meinem Bauch zu konzentrieren.

Dankbarkeit dafür, gesund zu sein, in dem Beruf arbeiten zu können, den ich mir ausgesucht habe, von Menschen zu wissen, die mich lieben. Die ich liebe. Und dafür, dass ich den Himmelslaternen nachsehen darf, zusammen mit Alex hier sein darf, an diesem Strand in Thailand, wo kühler Sand durch meine Zehen quillt und ich die Wellen rauschen höre.

 

 

Wir feiern Silvester mit Ramona (28) und Jan (30) in der Provinz Prachuap Khiri Khan, rund 300 Kilometer südwestlich von Bangkok. Die beiden Karlsruher haben wir in der Mongolei kennengelernt, als wir gemeinsam vor der chinesischen Botschaft für unsere Visa Schlange standen. Wir tauschten erst Nummern, dann Reiseerlebnisse aus, während wir auf verschiedenen Routen in den Süden reisten. Vier Monate nach unserem ersten Treffen verabreden wir uns für den Silvesterabend in Thailand.

Alex und ich kommen zwei Tage eher an als unsere Freunde. Wir reisen mit dem Bus aus Bangkok an. Den erwischen wir gerade so – wir haben den Hauptstadtverkehr unterschätzt, haben nicht damit gerechnet, mehr als zwei Stunden im überfüllten Skytrain und auf Bangkoks verstopften Straßen im Taxi zu verbringen.

Nach sechs Stunden Fahrt steigen wir aus dem stickigen Fernbus aus. Wir lassen uns an der Straße absetzen. Zu unserer Unterkunft sind es noch ungefähr drei Kilometer. Es dämmert bereits, doch da keine lokalen Busse fahren, bleibt uns nichts anderes übrig, als zu Fuß zu gehen.

Mit unseren großen Rucksäcken auf dem Rücken und den kleinen vor dem Bauch machen wir uns auf den Weg zum Meer. Wir merken schnell: Wir fallen auf. In dieser Gegend kommen so gut wie nie Backpacker vorbei. Und wenn doch, dann bestimmt nicht zu Fuß.

Die wenigen Thais, die wir treffen, schauen uns verdutzt-belustigt an. Ich lächle stoisch allen zu. Auch Ne und An, die auf einem Roller an uns vorbeifahren – und umdrehen, als sie uns die Straße entlanggehen sehen. Eine Minute später stehen die beiden 32-Jährigen neben uns.

„Wo wollt ihr hin?“, fragt Ne. Ich nenne ihr unser Ziel. „Wartet kurz!“, sagt sie. Die beiden fahren los – und kommen wenige Minuten später im Pick-up wieder. „Steigt ein“, weist Ne uns an. Es sei gefährlich, im Dunkeln durch den Palmenwald zu gehen, betont sie: „Hier streunen viele Hunde.“

Keine fünf Minuten später erreichen wir unsere Unterkunft. Wir bedanken uns bei unseren neuen Freunden, verabschieden uns in der Dunkelheit. „Was für ein Glück wir manchmal haben“, sage ich erstaunt zu Alex. Ich hatte nicht erwartet, dass uns unterwegs so viele Menschen helfen würden – ohne, dass wir danach fragen. Negative Begegnungen hatten wir in den vergangenen acht Monaten keine.

Unsere Bleibe ist ein sympathischer Betonbunker. Zwei Stockwerke mit insgesamt acht Zimmern in Familienbesitz, am Strand. Eine junge Frau zeigt uns unser Zimmer. Wir legen die Rucksäcke ab und uns erst mal aufs Bett, das so hart ist wie überall sonst in Südostasien. Wir sind angekommen.

An diesem Abend unternehmen wir nicht mehr viel. Wir duschen, essen in einem Restaurant ein Stück die Straße hinunter scharfes Fisch-Curry, lesen und nutzen das WLAN. Tags darauf spazieren wir ins eineinhalb Kilometer entfernte Dorf Khlong Wan. Dort schauen wir uns den Fischerhafen und einen kleinen Tempel an und kaufen Obst fürs Frühstück. Abends bleiben wir so lange auf den Liegen am Strand, bis die Wolken gelb aufglänzen, puderrosa schimmern, langsam grauer werden.

 

Eineinhalb Kilometer sind es von unserer Unterkunft ins Dorf Khlong Wan.
Wir bleiben so lange am Strand …
… bis die Wolken gelb aufglänzen …
… und dann puderrosa schimmern.

Ramona und Jan erreichen den Betonbunker am nächsten Tag gegen Mittag. Sie sind aus Myanmar angereist, haben eine stundenlange Odyssee hinter sich und Rum dabei, für zwei Euro die Flasche. Die öffnen wir aber erst am Abend. Jetzt setzen wir uns ans Meer und reden, reden, reden. Es tut gut, sich mit den beiden auszutauschen, Deutsch zu sprechen. In unserer Muttersprache fällt es Alex und mir noch immer leichter, ein tiefes Gespräch zu führen.

Abends gönnen wir uns einen Besuch in einem etwas gehobeneren Restaurant. Eine Liveband spielt sehr laut und nicht weit von unserem Tisch entfernt, wir freuen uns über jede Pause. Trotzdem wird es ein sehr schöner Abend. Die Luft ist mild, die Wellen klatschen nicht weit entfernt auf den nassen Sand, das Essen ist hervorragend.

Zurück am Strand schauen wir zu, wie die Himmelslaternen im Schwarz verschwinden. Wir trinken den Zwei-Euro-Rum, der kein Kopfweh macht, spielen Karten und Scharade. Erst um vier Uhr gehen wir ins Bett. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so lange wach geblieben bin. Ein gelungenes Silvester.

Zehn Stunden später frühstücken wir zu viert auf dem Balkon. Am Strand beschließen wir, unseren gemeinsamen Urlaub vom Unterwegssein zu verlängern. Alex und ich haben schon einen Bungalow am Meer, ein Stück weiter südlich, reserviert, Ramona und Jan wollen uns dorthin folgen.

 

Pad Thai mit Shrimps: Alex‘ Silvester-Abendessen.
Bis um vier Uhr nachts spielen wir Karten und Scharade. Dazu gibt es Rum und Radler. (Foto: Ramona Mail)
Neujahrsfrühstück auf dem Balkon (Foto: Ramona Mail)

Nachts werfen wir alle Pläne um. Als wir bereits im Bett liegen, schickt Jan uns einen Link per WhatsApp: Der Zyklon Pabuk rollt auf den Süden Thailands zu. In unserem Strandbungalow könnte es ungemütlich werden. Nach Einschätzungen der Meteorologen, heißt es im Internet, werde Südthailand zum ersten Mal seit 56 Jahren direkt von einem schweren tropischen Sturm getroffen.

Das wollen wir nicht miterleben. Alex und ich waren in Hongkong, als Mangkhut, ein Wirbelsturm der Stufe 10, im September 2018 über die Sieben-Millionen-Stadt fegte, Baugerüste umwarf und Palmenköpfe absägte. Mehr Sturmerfahrung brauchen wir definitiv nicht.

Also fahren wir zurück in den Norden. 100 Kilometer nördlich, in der Küstenstadt Hua Hin, finden wir eine schöne Ferienwohnung nicht weit entfernt von Cha-am, wo Alex und ich Weihnachten mit meiner Schwester Petra gefeiert haben. Der Spruch „Hua Hin und zurück“ wird schnell zum Running Gag.

Unsere Unterkunft liegt in einer Wohnsiedlung, die uns ein bisschen an „Desperate Housewives“ erinnert. Die weißen Häuser haben alle einen kleinen Garten, sind von einem hohen Metallzaun umgeben.

 

Der Sturm Pabuk (lila) nähert sich Thailand.
Statt in den Süden zu reisen, mieten wir uns eine Wohnung weiter nördlich, in Hua Hin.
Ein bisschen wie in „Desperate Housewives“.
In unserer schönen Ferienwohnung …
… genießen wir das süße Nichtstun und die gemeinsame Zeit mit unseren Freunden.

In unserer Wohnung verbringen wir fünf ruhige Tage. Wir reden viel, kochen jeden Abend (okay, einmal bestellen wir Pizza), schauen Filme, organisieren ein paar Dinge, spielen Taki und Scharade. Ich nutze zweimal sogar den kleinen Fitnessraum neben dem Büro der Verwaltung am Eingang der Wohnanlage. Alex meldet sich, inspiriert von Jan, auf der Plattform Threadless an, um seine Designs als T-Shirts im Internet zu verkaufen. Die beiden unterhalten sich bald nur noch über neue Motive und Bildformate.

Von Pabuk bekommen wir nur wenig mit. Der Zyklon schwächt vor der thailändischen Küste ab. Bei grauem Himmel und Nieselregen haben wir trotzdem kein schlechtes Gewissen, das Haus kaum zu verlassen.

Am 7. Januar verabschieden wir uns von von unseren Freunden. Ramona und Jan fahren nach Hat Yai, nahe der malaysischen Grenze. Ihnen bleibt noch ein Monat in Südostasien, bevor sie nach Neuseeland reisen. Was für ein seltsames Gefühl: Dass wir sie erst in Deutschland wiedersehen werden.

Alex und ich fahren mit dem Zug nach Saphli, rund 250 Kilometer südlich von Hua Hin. Zurück werden wir so schnell wohl nicht mehr kommen.

  1. Rolf Mail

    Was für ein gut geschriebener und interessanter Reisebericht… hervorragend! Ich wünsche weiterhin eine gute, erlebnisreiche und wohl behütete Reise durch diese schöne Welt!

    Rolf Mail

    • schrittwaerts

      Vielen herzlichen Dank, lieber Rolf!
      Wir schicken viel Sonnenschein und liebe Grüße nach Deutschland 🙂
      Melanie & Alex

  2. Sehr schöner Bericht.
    Danke für die tolle Zeit.

    Wir freuen uns schon euch in Deutschland wieder zu sehen!

    LG Ramona und Jan

    • schrittwaerts

      Danke, ihr beiden! Jaaa, es war sehr schön!! Freuen uns schon sehr auf weitere Taki- und Scharade-Runden in Deutschland 🙂
      Viele liebe Grüße Mella & Alex

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