Dreimal geht der Motor aus. An der Ampel, vor einem Kreisverkehr und noch mal vor einer Ampel. „So kommen wir nicht weiter“, sagt Alex. „Wir müssen zum Mechaniker.“ Es ist Sonntag und wir sind auf dem Weg von Christchurch zum Mount Cook Village, einem Dorf am Rand der neuseeländischen Alpen. Dort haben wir zwei Nächte in einer Jugendherberge reserviert. Ich seufze. Eigentlich wollten wir morgen wandern gehen. „Soll ich an die Seite fahren?“, frage ich. „Ja“, sagt Alex.
Ich parke Diggitwo am Straßenrand, Alex ruft den RAC an, den neuseeländischen Pannendienst. Wir müssen nicht lange warten. Die Werkstatt, aus der der Mechaniker kommt, ist um die Ecke. Er parkt sein Auto vor unserem und macht sich an die Arbeit. Öffnet die Motorhaube, startet den Motor. „Auf den ersten Blick kann ich nicht sagen, was los ist“, sagt er. „Wenn ihr möchtet, könnt ihr mir in die Werkstatt folgen, dort kann ich das überprüfen. Kostet aber 35 Dollar (20 Euro).“ „Okay“, sagt Alex. Wir steigen ein, fahren dem Mechaniker nach bis zu einem großen Gebäude, das nach Lagerhalle aussieht. Er verschwindet kurz im Inneren und kommt mit einem Prüfgerät zurück.
Fünf Minuten später wissen wir Bescheid: Der Kurbelwellensensor funktioniert nicht mehr. Deshalb leuchtet auch das Motorsymbol hinterm Lenker. „Wir können das morgen reparieren, wenn die Werkstatt offen ist. Vielleicht haben wir sogar ein Ersatzteil auf Lager, ansonsten müssten wir das bestellen“, sagt er. „Was passiert, wenn wir es nicht reparieren lassen?“, frage ich. Ich bin noch nicht bereit, die geplante Wanderung aufzugeben. „Wenn der Motor abkühlt, geht das Auto wahrscheinlich immer wieder an“, sagt der Mechaniker. „Problematisch wird es, wenn der Motor heiß ist.“ Ich schaue erst Alex, dann den Mechaniker an. „Was würden Sie machen?“ „Ich würde es reparieren lassen“, sagt er. „Aber ist eure Entscheidung.“ Wir verabschieden uns mit der Ankündigung, uns bald zu melden.
„Was meinst du denn?“, frage ich Alex. „Vielleicht schaffen wir es ja bis nach Queenstown und können Diggitwo da reparieren lassen?“ Bis dorthin fehlen uns 400 Kilometer. Alex ist das zu riskant. Er ist der Vernünftigere von uns beiden. „Ich finde, dass wir ihn hier reparieren lassen sollten“, sagt er. „Vielleicht haben sie das Teil ja auch, dann können wir morgen schon weiterfahren und noch wandern gehen.“ Überredet. Wir rufen den Mechaniker an und suchen online nach einer Unterkunft für die Nacht. Auf einem Campingplatz am Rand von Ashburton buchen wir ein Zimmer. Wir schaffen es dorthin, ohne dass der Motor ausgeht.
Das Zimmer ist viel zu groß für uns und kalt. Ein Doppelbett und zwei Stockbetten stehen darin, ein Tisch, vier Stühle und ein Kühlschrank. Zum Glück auch eine Elektroheizung. Die schließen wir sofort an, obwohl es erst 14 Uhr ist und draußen die Sonne scheint. Wir spazieren eine Runde über den Campingplatz. Viel zu sehen gibt es nicht, bis auf einen etwas verwahrlost wirkenden Teich voll Enten und eine Gemeinschaftsküche.
An der Rezeption kaufen wir uns für ein paar Dollar einige Gigabyte Internet, das Wlan ist nicht inklusive. Wir setzen uns aufs Bett, den gemütlichsten Ort im Zimmer. Alex arbeitet an seiner neuen Webseite, ich stelle ein Video der vergangenen sechs Monate für ihn zusammen. Bis zu seinem Geburtstag sind es nur noch vier Wochen. Ich schaue zu Alex, der entspannt an seinem Rechner sitzt. Es amüsiert mich, wie wir beide mit der Situation umgehen. Unser Auto ist kaputt und wir sitzen im Zimmer, als ob nichts passiert wäre. „Stell dir vor, jemand würde einen Film über unsere Reise drehen“, sage ich. „Der wäre so langweilig! Null Drama.“ Wir lachen.
Am Morgen darauf wachen wir früh auf. Die Nacht war eisig. Wir haben die Elektroheizung ausgeschaltet, ihr Ticken hat uns wachgehalten. Um 8.30 Uhr geben wir Diggitwo in der Werkstatt ab, erhalten gute und schlechte Nachrichten. Die gute ist, dass ein Ersatzteil verfügbar ist. Die schlechte ist, dass es aus Christchurch geliefert werden muss. Das Auto können wir erst gegen 16 oder 17 Uhr abholen, teilt uns die Rezeptionistin mit. Die Wanderung fällt ins Wasser.
„Dann ist es halt so“, denke ich. Ich hatte mich sowieso schon fast damit abgefunden. Ein bisschen grämt es mich aber doch, den Hooker Valley Track, der für seinen schönen Blick auf den Aoraki / Mount Cook, den höchsten Berg Neuseelands, bekannt ist, zu verpassen. „Vielleicht lässt sich die Wanderung ja noch um einen Tag verschieben“, denke ich.
Wir holen unsere kleinen Rucksäcke aus dem Auto, geben den Schlüssel an der Rezeption der Werkstatt ab und gehen ins Zentrum. Die Wartezeit verbringen wir in der städtischen Bibliothek. Die hat Wlan und eine Sofaecke. Alex arbeitet weiter an seiner Webseite, ich an seinem Geburtstagsvideo, um die Mittagszeit essen wir Sandwiches und Cookies bei einer Fastfoodkette nur wenige Häuser weiter.
Um kurz nach 16 Uhr ruft die Rezeptionistin an. Wir können das Auto abholen. 209 Dollar, rund 120 Euro, kostet die Reparatur. Dafür läuft Diggitwo jetzt tatsächlich viel besser, der Motor geht kein einziges Mal aus auf unserer Fahrt zum Mount Cook Village.
Am Lake Tekapo, einem ehemaligen Gletschersee, halten wir an. Die Lupinen blühen. Lila, rosa und hellgelbe Blüten wachsen am Ufer vor schneebedeckten Bergen. Ein Blumenmeer am See. Jedes Jahr von November bis Januar zieht es Fotograf*innen und Tourist*innen auf die Südinsel Neuseelands. Die Tourismusbehörde freut’s. Die Naturschutzbehörde weniger. Denn Lupinen sind kein neuseeländisches Gewächs. Sie wurden in den 30er-Jahren aus Nordwestamerika eingeführt, verdrängen einheimische Arten, verändern den Lauf von Flussbetten und bieten Raubtieren wie Katzen und Frettchen Schutz, die Flussvögel wie die Maorimöwe jagen. Rund 85.000 Euro gibt die Naturschutzbehörde, das Department of Conservation, jährlich für die Bekämpfung wildwachsender Lupinen aus.
Um kurz vor halb neun Uhr abends kommen wir an der Jugendherberge an. Draußen ist es bereits dunkel, innen ist die Rezeption geschlossen. Alex ruft die Zentrale der Jugendherberge an. Die wiederum gibt dem Geschäftsleiter Bescheid. Einem Mann, der ungefähr so alt wie wir ist. Er erscheint barfuß im Gang, gibt uns den Schlüssel zu unserem Zimmer. Wir schieben die Rucksäcke unter das Stockbett links neben der Tür. Die drei übrigen Betten sind schon belegt. Ich bin gespannt auf die Nacht. Seit unserer Ankunft in Australien, in Fremantle, haben wir in keinem Mehrbettzimmer übernachtet.
Mit Pasta, Pesto und Pilzen gehen wir in die Gemeinschaftsküche. Die Jugendherberge ist sehr sauber und nett eingerichtet. Mit viel Holz und einem Kamin, vor dem ein paar Sofas stehen. Nach dem Essen setzen wir uns eine Weile vors Feuer und schauen die Fotos an, die wir nachmittags geknipst haben. Danach wechseln wir ins Zimmer. Die Nacht ist überraschend angenehm – unsere Zimmergenoss*innen sind rücksichtsvoll und leise.
Gegen 8 Uhr wache ich auf, so wie der Rest des Zimmers. Nur Alex hätte, wie immer, noch lange weiterschlafen können. Wir lassen uns Zeit mit dem Packen, frühstücken im Esszimmer neben der Küche. Vor den Fenstern ist es grau, es regnet. Und zwar nicht nur ein bisschen. Es prasselt aufs Dach, tropft aus der Regenrinne. Die Wolkendecke ist so dicht, das kein Sonnenstrahl hindurchdringt. Ich seufze. Auch heute fällt unsere Wanderung ins Wasser. Buchstäblich. Wir packen unser Frühstückssachen ein, die Rucksäcke in den Kofferraum. Um halb elf fahren wir los, Richtung Queenstown. Immerhin: ohne Angst vor einer weiteren Panne.