Die gelben Plüschlöwen drehen ihre Köpfe schief und klappern mit den Ohren im Takt der Trommler. „Kra-bumm-bumm-bumm“, immer schneller hauen sie auf ihre Instrumente, die bordeauxrot sind und groß wie Weinfässer. Die Tamburine scheppern mit. Die langen Löwen recken sich auf die Hinterbeine. Im Licht der Neonröhren funkeln ihre goldenen Pailletten.
Ein paar Kinder rennen zu den freundlichen Giganten. Sie streicheln ihre Köpfe, die fluffigen Wangen, halten ihre Hände in die großen Klappmünder und kichern, wenn die Löwen sie erwischen.
Es sind nur noch wenige Tage bis zum Beginn des Chinesischen Neujahrsfests auf der malaysischen Insel Penang und das hat mehr mit Fasching zu tun als mit Silvester, obwohl auch zum Chinesischen Neujahrsfest viel Feuerwerk verschossen wird.
Löwen und Drachen werden in der kommenden Woche zu lauter Musik auf den Straßen tanzen und die Zuschauer erschrecken. Es geht ums Geisteraustreiben, dem Winter Beine machen. Das Chinesische Neujahr, das sich nach dem chinesischen Mondkalender richtet und jedes Jahr am ersten Tag des ersten Monats stattfindet, wird auch als Frühlingsfest bezeichnet.
„Sollen wir?“, fragt Wind und deutet mit dem Kopf zum Auto. Wir nicken, es ist schon dunkel und wir wollen auf dem Weg nach Hause noch irgendwo zu Abend essen. Zum Poltern der Trommler quetschen wir uns zu sechst in den Wagen: Wind (29), seine Verlobte Leaf (28), Alex und ich sowie Cecilia (27) und Pablo (31) aus Argentinien, die Couchsurfing-Gäste sind wie wir.
Wind und Leaf, die eigentlich Tan Chun Feng und Yeap Lee Hua heißen, haben mit uns den Tag am Meer verbracht. 40 Minuten dauert die Fahrt im Auto in den Süden der Insel, an Reisfeldern vorbei und durch das bergige Hinterland.
Am Strand gehen wir baden, essen Kekse, Guave, Wassermelone und Sternfrucht, spielen Karten und Frisbee und sammeln herumliegendes Plastik ein. Während seines Biochemiestudiums ist Wind zum Umweltschützer geworden, auch zum Markt nehmen er und Leaf Tupperdosen und Jutetaschen mit.
In einem chinesischen Restaurant essen wir zu Abend. Wind bestellt für alle, die Kellnerin stellt gedämpften Spinat, frittierte Shrimps, Reis und eine große Suppenschale mit Gemüse und Tofu auf den Tisch. Malaysia ist ein Vielvölkerstaat, den sich Malaien, Chinesen, indigene Völker, Inder und weitere Volksgruppen teilen.
Das Zusammenleben verläuft nicht immer konfliktlos. Die Malaien, die etwa die Hälfte der rund 32 Millionen Einwohner stellen und praktisch alle der Staatsreligion Islam angehören, werden durch die Regierung systematisch bevorzugt. Im Mai 1969 eskalierten die Spannungen zwischen Malaien und Chinesen in einem Pogrom, bei dem fast 1000 Menschen massakriert und erschossen wurden.
Ein ähnlicher Konflikt existiert auch im Nachbarland. Der Süden Thailands ist muslimisch geprägt, was immer wieder zu Auseinandersetzungen mit dem buddhistischen Norden führt. Bis heute gelten die südlichsten Provinzen Narathiwat, Yala, Pattani und Songkhla als nicht sicher, das Auswärtige Amt rät von Reisen dorthin ab und warnt vor terroristischen Anschlägen.
Trotzdem fahren Alex und ich von Phuket nach Hat Yai. Die größte Stadt der Provinz Songkhla ist unsere letzte Station in Thailand. Zwar wurden auch dort bereits Terroranschläge verübt – zuletzt 2012 – doch inzwischen gilt der Ort 55 Kilometer nördlich der malaysischen Grenze als relativ sicher.
Drei Nächte bleiben wir, obwohl es kaum etwas zu sehen gibt. Mit rund 157.000 Einwohnern ist Hat Yai die größte Stadt Südthailands, vom Tourismus aber noch nahezu unberührt. Alex und ich besichtigen den Uhrenturm, eine der wenigen Attraktionen, und treffen uns mit Stephan aus Bad Wildbad, der uns zwei Wochen zuvor schon in Saphli besucht hat.
Stephan ist ebenfalls auf dem Weg nach Malaysia. Dort trifft er sich mit drei Arbeitskollegen. Wir essen Dim Sum in einem Restaurant nicht weit entfernt von unserer Unterkunft und spielen anschließend Taki an den Tischen im Eingangsbereich des Hotels.
Da wir in Bangkok schon einmal darauf hingewiesen wurden, dass Glücksspiel in Thailand illegal ist, man für den Besitz von mehr als 120 Spielkarten sogar ins Gefängnis kommen kann, fragt Alex die Rezeptionistin, ob es in in Ordnung sei, wenn wir am Fenster Karten spielen. Sie lacht nur. So genau scheinen es die Thais zum Glück dann doch nicht zu nehmen.
Den folgenden Tag verbringen wir hauptsächlich auf unserem Zimmer. Während ich einen neuen Blogeintrag schreibe, zeichnet Alex mit dem Bleistift Waschbären, Gänse und Kompasse in sein Notizbuch. Von der Stuttgarter Kinderzeitung, bei der er bis kurz vor unserem Aufbruch gearbeitet hat, hat er den Auftrag bekommen, einen Comic über unsere Reise zu zeichnen. Der Waschbär Kuny („Racoon“) und der Multifunktionsroboter Venta („Adventure“) sollen zusammen viele Abenteuer bestehen.
Zum Abschied holen wir uns abends noch einmal unser liebstes thailändisches Essen: frittierten Reis mit Shrimps und Gemüse, frischen Salat und eine Portion süßen Mango-Sticky-Reis. Dazu schauen wir den wunderbaren Schwarz-Weiß-Film Roma, der für zehn Oscars nominiert ist.
Mit dem Minivan fahren wir tags darauf nach Penang. Die Insel im Nordwesten Malaysias ist etwas größer als Malta und für viele Thailand-Reisende die erste Anlaufstelle im Land. Die Hauptstadt George Town ist bekannt für Streetfood und Streetart.
Der Grenzübergang ist unkompliziert. Wir müssen nicht lange warten, bis wir einen Stempel bekommen, der uns zu 90 Tagen Aufenthalt berechtigt. So sollte das immer ablaufen, denke ich.
Da unser Minivan nach George Town fährt, lassen wir uns von unserem Fahrer an einer Tankstelle absetzen. Wir sind mit Wind und Leaf in Bayan Baru verabredet, 17 Kilometer südlich der Provinzhaupttstadt. Die beiden haben uns für drei Nächte in ihr Apartment eingeladen.
Wind – schlank, kurze, schwarze Haare, Bartansatz – putzt gerade, als wir an der Wohnungstür anklopfen. Mit dem Wischmopp in der Hand öffnet er die Tür. Wir treten ein, seine Verlobte Leaf führt uns in unser Zimmer. Eine Matratze liegt auf dem Boden, an der Tür klebt ein schön gestaltetes Papier mit unseren Namen. Wir legen die Rucksäcke ab, setzen uns auf das Sofa im Wohnzimmer. Wind schrubbt noch immer. Sie putze ihm nicht gründlich genug, erklärt Leaf lächelnd, dafür koche sie meistens.
Ich bin überrascht. Einen egalitären Haushalt hatte ich in Malaysia nicht unbedingt erwartet. Auch dass die beiden noch nicht verheiratet sind, verwundert mich, obwohl ich weiß, dass Wind und Leaf ethnische Chinesen und nicht strenggläubige Malaien sind. So viel zu meinen Vorurteilen.
Wir unterhalten uns über unsere Reisen und Berufe. Wind und Leaf waren 2015 für mehrere Monate in Neuseeland. Im kommenden Jahr wollen sie von Kirgisistan nach Europa reisen. Noch allerdings arbeitet Wind als Verkäufer eines Pharmaunternehmens, Leaf ist nach ihrem Mandarin-Studium als Projektassistentin tätig. Bis vor Kurzem haben die zwei noch in der Wohnung von Leafs Eltern gewohnt, doch als ihr Bruder nach dem Studium wieder nach Hause kam, sei zu wenig Platz gewesen, erzählt Leaf.
Die Dreieinhalbzimmerwohnung, in der sie jetzt leben, liegt nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt von der Wohnung ihrer Eltern. Sie kostet 900 Ringgit pro Monat, ungefähr 190 Euro. „Mehr können wir uns auch nicht leisten“, sagt Leaf.
Wind legt den Wischmopp weg, er ist fertig mit den Böden. „Habt ihr Hunger?“, fragt er. „Wir können in dem Hawker Center um die Ecke etwas essen.“ Selbstverständlich kommen wir mit. In Malaysia dreht sich vieles ums Essen. So gut wie überall sind günstige Straßenküchen, in denen indische, chinesische und malaiische Speisen angeboten werden. Schlecht zu essen ist eigentlich unmöglich.
In den folgenden Tagen gehen Wind und Leaf mit Cecilia, Pablo, Alex und mir in verschiedene Restaurants und Hawker Center, zeigen uns chinesische und indische Spezialitäten. Es ist die perfekte Einführung in die Küche unseres neuen Reiselands.
Wind hilft uns außerdem dabei, eine malaysische SIM-Karte zu besorgen und nimmt uns mit zu den Gemüsefeldern zweier Freundinnen, die wir dabei unterstützen, alles für einen Markttag vorzubereiten.
An unserem letzten gemeinsamen Morgen wandern wir auf den Bukit Jambul, nachdem wir uns am Busbahnhof schweren Herzens von Cecilia und Pablo verabschiedet haben. Die beiden Argentinier reisen weiter zu den Cameron Highlands, einem Höhenzug rund 250 Kilometer südlich im Landesinneren.
Der Aufstieg auf den 241 Meter hohen Berg ist kurz und bei über 30 Grad doch schweißtreibend. Auf dem Weg zum Gipfel begegnen wir indischen Familien in bunten Gewändern und sportlichen Chinesinnen in knappen Outfits. Zwei junge Musliminnen, die trotz der Hitze Kopftuch und bodenlange Kleidung tragen, bitten uns um ein Foto. Malaysia in a nutshell.
Am frühen Nachmittag heißt es auch für Alex und mich Abschied nehmen. Während Wind und Leaf sich auf das Chinesische Neujahrsfest vorbereiten, auf Familienbesuche mit langen Gesprächen und viel Essen, fahren wir weiter nach George Town. In der Hauptstadt der Provinz Penang werden wir mit tanzenden Löwen und Drachen ins Jahr des Erd-Schweins feiern.