In der Jugendherberge vonTe Anau gibt mein Laptop den Geist auf. Auf dem Startbildschirm erscheint eine Anleitung zur Fehlerbehebung. Weiße Schrift auf blauem Hintergrund. Ich versuche, den Computer mithilfe eines YouTube-Tutorials, das ich auf dem Handy abspiele, zu beheben, schaffe es aber nicht. Auch Alex bemüht sich vergeblich.
Deshalb ist das Haus von René, das gleichzeitig das Büro seines Computerreparaturservices ist, unsere erste Station in Dunedin (sprich: Da-nih-din, Betonung auf der zweiten Silbe). Wir erreichen die 129.000-Einwohner-Stadt an der Ostküste der neuseeländischen Südinsel an einem Donnerstag, nach unserem Mini-Roadtrip durch die Küstenregion Catlins.
Am Esszimmertisch untersucht René meinen Laptop. Er startet ihn, hört die Festplatte ab, als wäre er ein Arzt und der Computer hätte Husten. „Ist es okay, wenn ich ihn über Nacht behalte?“, fragt er. „Ich würde erst einmal Window drauf spielen und schauen, ob er wieder funktioniert. Ansonsten braucht er wahrscheinlich eine neue Festplatte.“ „Klar, gerne!“, sage ich.
René erklärt das weitere Vorgehen. Ich gebe ihm die Erlaubnis zu machen, was er für richtig hält. Reparieren statt neu kaufen ist nicht nur günstiger, sondern auch nachhaltiger. Außerdem ist der kaputte schon mein zweiter Laptop auf dieser Reise. Der erste ist in Rumänien liegengeblieben.
Wir fahren weiter, von Renés Viertel Pine Hill, das das Zentrum Dunedins überschaut, nach St. Kilda, wo die Häuser etwas vernachlässigter aussehen, die Bewohner etwas weniger gut betucht sind. Bei Shalin und ihrem Freund Zach haben wir für zehn Nächte ein Zimmer gemietet. Shalin steigt gerade aus ihrem Auto, als wir an ihrem Haus ankommen. Sie hat lange, blonde Haare und Tattoos auf den Armen. Shalin zeigt uns das Bad, die Küche, das Wohnzimmer und unser Zimmer. Das hätte auch dem elfjährigen Carl Sagan gehören können: An den Wänden kleben Poster von Galaxien und Planeten, auf der dunkelblau-lila Bettwäsche sind Sternhaufen abgebildet.
Wir tragen unsere Rucksäcke ins Zimmer und machen in der Küche Nudelsalat mit getrockneten Tomaten, Basilikum und geriebenem Mozzarella. Am Kühlschrank hängt ein Putzplan, auf dem die Namen von Shalin, Zach und Shalins drei Töchtern eingetragen sind. Im Wohnzimmer, das an die Küche anschließt, schlafen zwei weiße Ratten in einem Käfig.
René schreibt am folgenden Morgen: Er hat die Festplatte ausgetauscht, der Laptop lebt! Nachmittags holen wir ihn in Pine Hill ab. Wieder in St. Kilda ziehen Alex und ich uns in unser Zimmer zurück, um zu arbeiten. Wir verstehen uns zwar gut mit unseren Gastgebern, gleichzeitig strengt uns das WG-Leben zu siebt ein bisschen an. Das Badezimmer ist gefühlt ständig belegt. Wenn wir kochen möchten, steht meist schon jemand am Herd. Sowohl Shalin und Zach als auch ihre Teenager-Töchter bekommen oft Besuch. Die Stereoanlage im Wohnzimmer läuft von morgens bis abends, manchmal auch nachts, wenn die Gäste länger bleiben.
Dafür sind es nur 15 Minuten zum Strand. Dort gehe ich oft joggen. Neben Surfern, Spaziergängern, Hundebesitzern und drei Meter hohen Wellen laufe ich über den weißen Sand, während der Wind an meiner Kleidung zerrt.
Mit dem Auto fahren wir auf die Otago-Halbinsel, wo wir Seelöwen und Albatrosse beobachten, über Strände und Schafweiden spazieren. In der Stadt fotografieren wir die St.-Paul’s-Kathedrale, den Weihnachtsbaum an der Ringstraße The Octagon und das schöne Bahnhofsgebäude, das von 1904 bis 1907 im flämischen Stil erbaut wurde.
1848 gründeten schottische Einwanderer Dunedin, die mittlerweile siebtgrößte Stadt Neuseelands (gemessen an der Bevölkerung). Im Zentrum fühlt Alex sich nicht umsonst an Edinburgh erinnert: Der Name Dunedin ist die anglisierte Version von „Dùn Èideann”, des schottisch-gälischen Namens für Edinburgh (auf Deutsch: „Festung am Hügelhang“). Besiedelt wurde das Gebiet an der Südostküste Neuseelands allerdings schon um das Jahr 1100 von Māori-Stämmen.
Als wir von unserem Stadtrundgang zum Parkplatz zurückkommen, erwartet uns eine unschöne Überraschung: Eine orangefarbene Autokralle klemmt an Diggitwos rechtem Vorderreifen. Selbst schuld. Das riesige Schild über dem Parkplatz, auf dem steht, dass unrechtmäßig abgestellte Autos abgeschleppt werden, haben wir absichtlich übersehen. „Und jetzt?“, frage ich Alex. Wir gehen zu einer Gruppe Männer in Overalls, hinter der wir ein Abschleppteam vermuten. „Ohhh, das wird teuer!“, ruft einer von ihnen. „Kostet 600 Dollar, glaube ich. Müsst ihr in dem Hotel da drüben bezahlen.“ Ich schlucke. „Meinst du echt, dass das so teuer ist?“, frage ich Alex, als wir die Straße überqueren. „Nee, oder?!“, sagt er.
Der Mann an der Rezeption seufzt, als wir ihm sagen, was passiert ist. Der Raum, in dem er steht, wirkt – wie er selbst – abweisend und in die Jahre gekommen. Er ist düster und riecht nach kaltem Zigarettenrauch. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Parkplatz mit den falsch abgestellten Autos die Haupteinnahmequelle des Hotels ist. Der Rezeptionist holt ein Kartenlesegerät unter der Theke hervor. „Macht 50 Dollar“, sagt er. Mir fällt ein Stein vom Herzen. 50 Dollar (umgerechnet rund 28 Euro) kommen mir auf einmal sehr bezahlbar vor.
Wir folgen dem Mann auf den Parkplatz. „Habt ihr das nicht gesehen?“, grummelt er und deutet auf das Schild. „Doch“, gebe ich zu. Er schüttelt den Kopf. „Jeden Tag muss ich hier rüber laufen“, nuschelt er und sperrt die Kralle auf. Wahrscheinlich nur, um sie an einem anderen Auto anzubringen.
Mit einem Rest Adrenalin im Blut fahren wir durch die Stadt und folgen einer steilen Schotterstraße auf den Mount Cargill. Doch auf dem Hausberg Dunedins ist es so windig, dass wir nicht einmal aus dem Auto steigen. Wir fahren weiter zur Baldwin Street, die mit einer Steigung von bis zu 35 Prozent bis 2019 als steilste Straße der Welt galt. Für kurze Zeit ging der Guinness-Buch-Rekord an die Straße Ffordd Pen Llech in dem walisischen Ort Harlech über, deren Steigung bei bis zu 37,45 Prozent liegt. Mittlerweile hat die Baldwin Street den Titel wieder. Nach den Guinness-Buch-Regeln zählt nur die Steigung, die in der Straßenmitte gemessen wurde.
Mit Weihnachtsfilmen und neuseeländischem Gebäck versuchen wir uns trotz der frühlingshaften Temperaturen in Weihnachtsstimmung zu versetzen. Alex‘ Geburtstag feiern wir mit einem Essen im Thai-Restaurant und einem Strandspaziergang.
Am Tag vor unserer Abreise lädt Shalin uns zum gemeinsamen Dinner im Wohnzimmer ein. Es gibt Reis-Curry mit Gemüse, Tofu und Cashewnüssen. Zu sechst sitzen wir am Tisch: Shalin und ihre drei Töchter, Alex und ich. Zach ist bei Freunden.
„Klappt denn alles mit eurer Weiterreise?“, fragt Shalin. Nach heftigen Unwettern, sagt sie, seien die Straßen der Südinsel überflutet und teilweise gesperrt. In Franz-Josef-Gletscher, an der Westküste, stecken die Bewohner und Touristen sogar auf unbestimmte Zeit fest. Ein Helikopterflug sei derzeit die einzige Möglichkeit, das Dorf zu verlassen.
Alex und ich haben davon nichts mitbekommen. Am folgenden Morgen möchten wir nach Geraldine, rund 240 Kilometer nördlich, weiterreisen. Shalin schaut auf ihrem Smartphone nach, ob das überhaupt möglich ist. „Ihr habt Glück“, sagt sie, „der Highway nach Christchurch wird heute Abend freigegeben.“ Ich nehme mir vor, öfter neuseeländische Nachrichten zu lesen. Jetzt, wo mein Laptop wieder läuft, habe ich keine Ausrede mehr.
Also, ich muss mal ehrlich sagen: Ich lese hier so gerne mit! Es ist so toll, wie du den Alltag, kaputte Laptops, Knöllchen und Nudelsalat beschreibst. Fernab von „20 beste Insidertipps für blablabla“ und übertrieben instagrammierbaren Momenten. Einfach Reisealltag… weiter so!
Vielen Dank, Laura, das freut uns wirklich sehr! 🙂 Uns ist es auch wichtig, nicht nur über die schönen Seite der Reise zu berichten, sondern einen ehrlichen Eindruck zu geben. Danke, dass du so an unserem Reise-Alltag teilnimmst!