Das Zimmer schaukelt und vibriert. Der Wind pfeift durch das Kajütenfenster, draußen knarzen die Container. Wir befinden uns auf der CMA CGM Rossini, einem Containerschiff unter französischer Flagge auf dem Weg von Port Klang, Malaysia, an die Westküste Australiens. Sieben Tage dauert die Reise. Vier Tage sehen wir nichts außer Wasser und Wellen.
Es ist 10 Uhr morgens. Während die Besatzung ihrer Arbeit nachgeht, gibt es für uns nicht viel zu tun. Alex sitzt auf dem Bett unserer Kabine und liest auf seinem E-Reader. Ich höre Podcasts und suche Bilder aus für den nächsten Blogeintrag. Es ist stürmisch, der Zyklon Victoria wirbelt nur wenige hundert Kilometer entfernt über das tiefblaue Meer.
Nach vier Tagen auf dem Schiff hat sich bei uns eine gewisse Routine eingestellt: Das Frühstück, das von 7 bis 8 Uhr serviert wird, lassen wir aus. Wir schlafen lieber ein bisschen länger. Vor dem Mittagessen lesen wir, gucken Serien, Alex zeichnet Comics, ich schreibe oder ordne Bilder. Nach dem Abendessen schauen wir meistens einen Film an. Am frühen Nachmittag schlafen wir oft noch eine Weile – das gleichmäßige Schaukeln der Rossini macht müde. Das sagen auch unsere Mitfahrer Douglas und Friedrich, mit denen wir uns beim Mittag- und Abendessen den Tisch teilen.
Der 60-jährige Doug stammt aus Ohio. Er hat immer ein Lächeln auf den Lippen, ist schmal und begeistert von der Abgeschiedenheit auf See: Mitten auf dem Ozean, ohne Internet oder sonstige Ablenkungen, habe man die Möglichkeit, ganz bei sich zu sein. Friedrich, 63, kommt aus Waldshut im Südwesten Baden-Württembergs und ist seit einem Jahr in Rente. Die Idee, auf einem Frachtschiff mitzureisen, hatte er, als er noch als Maschinenschlosser in der Schweiz arbeitete, erzählt er beim Mittagessen.
„Ich wollte einfach mal länger weg“, sagt er auf Deutsch. Friedrich, graue Haare, blaue Augen, blaues Radlerhemd, lernt zwar gerade täglich Englisch, aber die Sprachkenntnisse reichen noch nicht aus, um im Detail zu berichten. Wir übersetzen, sodass auch Doug versteht, worum es geht.
Zur Auswahl standen der Jakobsweg und das Containerschiff, sagt Friedrich: „Jetzt fahre ich schon auf dem zweiten mit.“ Eigentlich wollte er von Europa direkt nach Sydney reisen, aber die Verbindung wurde kurz vor der Abreise gestrichen. Also ist er zuerst von Venedig nach Malaysia gereist, bevor es weiter nach Australien gehen konnte.
Dass man als Passagier eines Containerschiffs flexibel sein muss, haben auch Alex und ich schon festgestellt. Von unserem vorübergehenden Zuhause in Kuala Lumpur fahren wir mit dem Zug und Taxi zum Frachtschiffhafen Port Klang, dem größten Seehafen Malaysias. Um 13 Uhr sind wir dort mit dem für uns zuständigen Hafenagenten verabredet.
Doch als wir am Ein- und Ausreiseschalter ankommen, ist bis auf eine Gruppe Seemänner und ein paar wenige Beamte niemand anwesend. Es ist Sonntag, die meisten Schalter sind geschlossen. Wir setzen uns und warten. Solange, bis ich nervös werde, Alex dazu nötige, unsere Reederei anzurufen. Die Nummer des Hafenagentens haben wir nicht. Nur eine E-Mail-Adresse.
„Anscheinend gibt es eine Verspätung“, teilt Alex mir nach dem Anruf mit. Kurze Zeit später kommt ein Mann auf uns zu. Wir sollen bis halb sieben warten, sagt er und überreicht uns einen Zettel mit der Telefonnummer des Hafenagentens. Da der auch zur neu vereinbarten Zeit nicht auftaucht, rufen wir ihn an – und werden auf 20.30 Uhr vertröstet. Inzwischen kennen uns fast alle Beamten der Einreisebehörde, ein junger Mann bietet uns sogar eine Dose Salzcracker an.
Zu Essen und zu Trinken haben wir zum Glück genug mitgenommen. Das Warten zehrt trotzdem an den Nerven. Nach ein paar Stunden haben wir so gut wie alle Sitzgelegenheiten und -positionen ausprobiert und abwechselnd das Gelände, auf dem das Hafengebäude steht, erkundet. Mit jeder Minute, die vergeht, werde ich nervöser. Was, wenn die Besatzung uns in der Aufregung des Ein- und Ausladens vergessen hat? Besonders hoch stehen wir bestimmt nicht auf deren Prioritätenliste.
Um mich abzulenken, schaue ich ein paar Folgen Making a Murderer auf dem Handy. Die habe ich eigentlich für die Überfahrt heruntergeladen, aber jetzt brauche ich sie dringender. Um 23.15 Uhr bin ich damit durch. Ich ziehe die Schuhe aus, will mich aufs Sofa legen, dösen. Just in diesem Moment erscheint der Hafenagent in Begleitung von drei Seemännern.
Von da an geht alles fix: Wir müssen unsere Reisepässe abgeben und unsere Zeigefinger scannen lassen, danach werden wir in einem Minivan zum Schiff gefahren. Die CMA CGM Rossini ist gewaltig. Wie ein Hochhaus ragt sie in der Dunkelheit auf. Wir schultern unsere Rucksäcke, folgen den Seemännern zu einer schmalen Metalltreppe, die an der Seite des Schiffs hinaufführt. Während wir die von einem Netz geschützten Stufen hochwanken, beladen die Hafenkräne das Schiff piepsend mit Containern. Dumpf rumpelnd landen sie aufeinander.
Oben angekommen, müssen wir uns mit unserer Reisepassnummer und einer Unterschrift ins Logbuch eintragen. Erst danach dürfen wir das Innere betreten. In dem Büro, in dem das Beladen und Entladen des Schiffes überwacht wird, begrüßt uns der Kapitän der Rossini. Er sieht genauso aus, wie wir uns den Kapitän eines Frachtschiffs vorgestellt haben: groß, mit grauem Vollbart, einem runden Bauch und stahlblauen Augen.
Viel Zeit hat er natürlich nicht für uns. Rémy, der Nautische Offizier, begleitet uns zum Aufzug und führt uns zu unserer Kabine. Wir sind überrascht, wie groß das Zimmer ist. Neben einem Doppelbett und einem eigenen Badezimmer haben wir eine Couch, einen Schreibtisch und sogar eine Zimmerpflanze. Am schönsten aber sind die beiden Fenster, mit Blick aufs Meer und die Container.
Wir stellen unsere Rucksäcke ab, schauen uns um, testen das Bett und das Sofa. Wenig später holt uns der Kapitän zu einem späten Abendessen ab. In der Offiziersmesse hat der Steward, der für das Reinigen der Zimmer der Offiziere und der Passagiere sowie für das Servieren der Mahlzeiten zuständig ist, die Reste des Abendessens für uns aufgetischt. Es gibt Reis, Hühnchen, Rindfleisch, Baguette, Käse und Kiwi.
Satt und erleichtert legen wir uns um kurz vor 1 Uhr schlafen. Dank unserer Ohrstöpsel können wir trotz des stetigen Piepsens und Rumpelns der Containerkräne schlafen.
Am späten Nachmittag des Folgetags setzt sich die Rossini in Bewegung. Wir bemerken erst gar nicht, dass das Schiff nicht mehr an der Hafenmauer steht, dass wir längst auf den offenen Ozean zusteuern. Kein Alarm, keine Durchsage hat die Abfahrt angekündigt. Fasziniert schauen wir aus dem Fenster und beobachten, wie Malaysia langsam hinter uns verschwindet.
Die Tage auf dem Schiff sind ereignisreicher, als wir es uns vorgestellt hatten. Wir dürfen mit der Besatzung den Geburtstag des Kapitäns feiern und Karaoke singen. Wir müssen an einer Sicherheitsübung teilnehmen und lassen uns von Sven, dem Chefingenieur, den Maschinenraum zeigen. Mit gelben Sicherheitswesten am Körper und Helmen auf dem Kopf folgen wir dem 37-jährigen Franzosen in den Kontrollraum oberhalb des Motors.
Im Maschinenraum selbst ist es sehr laut, es sind über 30 Grad – kein guter Ort, um die Funktionsweise des Schiffs zu erläutern. Obwohl die Rossini erst 2004 gebaut wurde, erinnert der Kontrollraum an eine Installation aus den 80er-Jahren, mit viereckigen Monitoren sowie auffälligen roten und grünen Knöpfen. Auf dem mintgrünen Armaturenbrett sitzt ein aufblasbares gelbes Känguru mit grünen Boxhandschuhen. Es riecht nach Öl, das Klacken des riesigen Motors ist auch hinter verschlossenen Türen zu hören.
Bis zu 5782 Container kann die Rossini transportieren. Ihre Höchstgeschwindigkeit liegt bei 25,3 Knoten. Normalerweise ist sie aber eher mit 16 Knoten unterwegs, das sind rund 30 Stundenkilometer. Der Motor, sagt Sven, werde mit Schweröl betrieben. „Je nach Geschwindigkeit verbraucht er pro Tag 80.000 bis 150.000 Tonnen.“ Für den Notfall gebe es noch drei Dieselgeneratoren. Überhaupt gebe es für so gut wie alles ein Backup, erklärt der Chefingenieur: „Das Wichtigste ist, dass das Schiff rechtzeitig sein Ziel erreicht.“
Zur See gekommen ist Sven einst, weil er nicht nur im Büro sitzen wollte. Drei Monate am Stück verbringt er in der Regel auf dem Meer, anschließend hat er genauso lange Urlaub. Zuhause, in der Nähe des ikonischen Mont-Saint-Michels im Norden Frankreichs, verbringt er viel Zeit mit seiner Familie und in der Natur. „Nach drei Monaten auf dem Blauen brauche ich drei Monate im Grünen.“
Nur wenige Meter oberhalb des Blauen gehen Friedrich und ich auf dem Außendeck des Schiffs unter den Containern spazieren. 277 Meter lang ist die Rossini, 40 Meter an ihrer breitesten Stelle. Ganz vorn, am Bug, ist es fast still. Dort können wir den Motor kaum mehr hören. An die Reling gelehnt, stehen wir ein paar Minuten lang nur da, beobachten die fliegenden Fische und die Möwen. Ab und zu schwimmt Plastikmüll vorbei. Hunderte Kilometer entfernt vom Festland.
Das Festland sehen wir erst am Montagmorgen wieder. Welle für Welle nähern wir uns der Westküste Australiens. Nacheinander tauchen die Hochhäuser der Stadt Perth, die Leuchttürme der Insel Rottnest am Horizont auf. Doug, Alex und ich stehen draußen und machen Fotos. Der Wind wirbelt durch unsere Haare, treibt weiße Gischtkronen übers Wasser.
Gegen Mittag erreichen wir den Containerhafen von Fremantle. Bevor wir die Rossini verlassen dürfen, überprüfen australische Zollbeamte im Schiffsbüro unsere Reisepässe. Mit unseren großen Rucksäcken auf dem Rücken, den kleinen vor dem Bauch, wanken wir die Metalltreppe an der Seite des Schiffs hinunter. Nach einer Woche auf dem Meer haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Zum Glück wissen wir in diesem Augenblick nicht, dass die Erde noch drei Tage weiterwanken wird.
Wow das liest sich richtig spannend. Habt ihr den Wellengang sehr dolle gespürt oder war der selbst beim Steuern auf den Victoria-Sturm kein Problem?
Tolle Bilder!
Gruß
Julian
Vielen Dank, lieber Julian!!
Jaa, der Wellengang war vor allem zum Ende hin gut spürbar. Die Wellen waren bis zu vier Meter hoch, das ging schon ab! Aber die Überfahrt war zum Glück ja nicht allzu lang. Wir sind trotzdem sehr froh, den Sturm nicht komplett abbekommen zu haben… 😉
Viele liebe Grüße, Mella & Alex
Toller Bericht. Wo habt Ihr die Überfahrt gebucht. Gibt es gute Seiten wo man buchen kann?
Vielen Dank! Wir haben dir eine E-Mail geschrieben mit allen Infos 🙂