Ein Zähnefletschen genügt – schon wirft Alex sein Rosinenbrot in hohem Bogen von sich. Der Affe reagiert blitzschnell: Er schnappt sich den noch eingeschweißten Snack und klettert damit auf einen Baum. Ruckzuck ist das Rosinenbrot ausgepackt. Es verschwindet in zwei Happen.
„Das Füttern der Affen ist verboten“, lesen wir auf einem Holzschild ein paar Schritte weiter. 1000 Baht Strafe stehen darauf, immerhin 29 Euro. Ups. Zum Glück hat niemand außer uns gesehen, wie das Rosinenbrot seinen Besitzer gewechselt hat.
Petra hat dafür gleich ein Video vom Rosinenbrotwurf gemacht. Es dauert keine zehn Sekunden und sieht aus wie eine schlecht eingeübte Kabarettnummer. Wir schauen es uns so oft nacheinander an, bis mein Bauch schmerzt vom Lachen.
Alex, meine Schwester und ich verbringen den Tag im Erawan-Nationalpark, 70 Kilometer nördlich von Kanchanaburi, der Stadt mit der Brücke am Fluss Kwai. Der rund 550 Quadratkilometer große Park ist bekannt für seine Wasserfälle, die sich über sieben Plateaus ergießen.
Wir folgen den Schildern am Wasserlauf nach oben. Es sind, wie eigentlich immer in Thailand, mehr als 30 Grad. Wir schwitzen selbst unter dem dichten Blätterdach des Dschungels. Ich ziehe meine Schuhe aus, gehe barfuß über die braunrote Erde. Ab und zu piekst ein Zweig meine Fußsohlen. Außerdem muss ich aufpassen, um nicht über die Wurzeln zu stolpern, die wie dicke Adern auf dem Boden liegen. Ich bleibe trotzdem barfuß. Ohne Schuhe ist die Hitze erträglicher.
Um zum obersten Plateau zu gelangen, müssen wir einige Leitern hinaufsteigen und durch ein paar Becken waten. Das Wasser ist kühl und türkisblau. Unter und neben dem Wasserfall sitzen Besucher und Besucherinnen in Badehosen und Bikinis auf den Steinen.
Der höchste Wasserfall des Parks, Wasserfall Nummer sieben, soll an den mythischen Elefanten Erawan erinnern, nach dem er benannt wurde. Ein Tier, so groß wie ein Berg, mit drei Köpfen und drei mal sieben Stoßzähnen. Mich erinnert der Wasserfall zwar nicht an einen Elefanten, aber meine Aufmerksamkeit gilt in diesem Moment auch eher den großen, graubraunen Fischen, die im klaren Wasser schwimmen und versuchen, die Hornhaut von meinen Füßen zu knabbern.
„Au!“ Ein Fisch hat Petra erwischt. Sie ist nicht besonders angetan von der kostenlosen Pediküre, steigt sofort aus dem Wasser. Zwei Männer grinsen uns belustigt an. An den Füßen des linken nuckeln mindestens zehn Fische.
Obwohl es uns mehr als nur ein bisschen Überwindung kostet, steigen Petra und ich auf dem Rückweg zum Nationalparkeingang in eins der tieferen Becken. Alex versucht es erst gar nicht. „Ich hatte heute schon genug Tierbegegnungen“, sagt er und spielt für uns den Fotografen. Obwohl das Wasser die perfekte Temperatur hat, halten auch Petra und ich es nicht lange darin aus. Jedes Mal, wenn wir uns nicht bewegen, rücken die Fische zu einem neuen Hornhautknabberversuch an.
Mit dem Bus fahren wir am späten Nachmittag zurück nach Kanchanaburi. Die Fahrt ist ruckelig, laut und dauert gut anderthalb Stunden. Jeder Platz ist besetzt, manche Bänke mit mehr Personen als dafür vorgesehen.
Bevor wir uns auf den Rückweg zu unserem Hotel machen, essen wir in einem vegetarischen Restaurant zu Abend, das Petra und ich am Tag zuvor auf dem Weg zur Brücke über den Kwai entdeckt haben. Wir bestellen gebratenen Reis mit Ananas, Bananenblütensalat und Fruchtshakes. Alles schmeckt hervorragend.
Am Tag zuvor brechen meine Schwester und ich gegen 10 Uhr auf, um Kanchanaburi zu erkunden. Wir fahren mit dem Bus ins Zentrum, spazieren am Säulenschrein der Stadt vorbei durch die Heritage Street, in der einige Gebäude aus den 1920er- und 30er-Jahren erhalten geblieben sind.
Wir schauen uns den Tempel Thewa Sangkharam an, gehen über den chinesischen Friedhof und besuchen das Thailand-Burma-Railway-Centre, ein Museum über den Bau der berühmten Brücke sowie die dazugehörige Eisenbahnstrecke. Die Ausstellung ist zwar schon etwas in die Jahre gekommen, mit vielen Tafeln zum Lesen und einem Film von miserabler Tonqualität. Aber sie bietet einen guten Überblick über die vergangenen Ereignisse.
Die japanischen Besatzer ließen die 415 Kilometer lange Eisenbahntrasse während des Zweiten Weltkriegs errichten. Die sogenannte Todeseisenbahn sollte Thailand und Myanmar, das frühere Burma, verbinden. Sie wurde von 1942 an gebaut, von 1943 an betrieben beziehungsweise ausgebessert. Die Alliierten warfen regelmäßig Bomben über den Gleisen ab. Aufgrund der Schäden musste der Eisenbahnbetrieb im Juni 1945 eingestellt werden.
Mir war vorher nicht bewusst, dass so viele Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter beim Bau der Trasse starben. David Leans Spielfilm Die Brücke am Kwai von 1957 hat mit der Vergangenheit nicht viel gemein. Schätzungen zufolge kamen zwischen 70.000 und 110.000 Menschen ums Leben. Wegen der miserablen hygienischen Zustände in den Arbeitslagen, wegen Krankheiten, Erschöpfung und Unterernährung. Ungefähr 200.000 asiatische Zwangsarbeiter und mehr als 60.000 Kriegsgefangene – hauptsächlich Briten und Australier – schleppten im feuchtheißen Dschungel monatelang schwere Steine und Bretter, verlegten Schienen.
Bedrückt gehen Petra und ich aus dem Museum heraus in die Sonne und zum Kriegsfriedhof schräg gegenüber. Auf dem akkurat getrimmten Rasen reihen sich hunderte Grabplatten und Blumen.
In einem Laden in der Nähe leihen wir uns Fahrräder. Mit ihnen radeln wir zur knapp drei Kilometer entfernten Brücke über den Kwai. Wir haben Glück: Gerade, als wir darüber gehen, fährt ein Zug über die Stahlbrücke. Die Passagiere winken lächelnd aus den Fenstern – wir lächeln und winken aus einer Einbuchtung neben den Gleisen zurück. Der Zug fährt inzwischen wieder von Bangkok nach Kanchanaburi und weiter ins rund zwei Stunden entfernte Nam Tok.
Auf dem Rückweg ins Hotel kaufen wir Äpfel für unseren Ausflug in den Erawan-Nationalpark am folgenden Morgen. Sie schmecken zwar nicht so gut wie Alex‘ Rosinenbrot, werden aber immerhin nicht von Affen geklaut.