Es ist eiskalt im Zimmer. Die zentrale Klimaanlage läuft zwar auf Hochtouren, bringt aber nichts. Es sind 16 Grad Celsius im Haus, nachts sogar nur 15. Ich wache immer wieder auf, so kalt ist mir. Dabei haben wir uns in Victor Harbor extra ein Zimmer gemietet, weil wir im Kofferraum von Diggity nicht frieren wollten. „Wie halten die Australier es im Winter in ihren Häusern nur aus?“, frage ich Alex. „Besonders gut isoliert sind die nicht.“ Er zuckt mit den Schultern: „Keine Ahnung!“
Erst nach dem Frühstück wird es wärmer. Wir essen Müsli auf der sonnigen Terrasse, unser Gastgeber David hat Weetabix, Toast, Marmeladen, Tee, Kaffee und Haferflocken bereitgestellt. Wir haben uns längst daran gewöhnt, bei fremden Leuten zuhause zu sein, in ihren Betten zu schlafen, in ihren Küchen zu kochen, in ihren Esszimmern zu essen. Auf ihren Terrassen.
Am Tag zuvor haben wir Adelaide verlassen. Die Fahrt ins 85 Kilometer südlich gelegene Victor Harbor dauert gerade einmal eine Stunde. Die Stadt am Südrand der Fleurieu-Halbinsel hat rund 15.000 Einwohner und nur wenige Sehenswürdigkeiten. Eine historische Dampfeisenbahn und eine Pferdebahn, die ein paar Mal täglich zur vollen Stunde über die 630 Meter lange Holzbrücke zur Granite Island fährt.
Auf der unbewohnten Insel gibt es Pelikane und, nach Einbruch der Dunkelheit, Zwergpinguine zu sehen, die dort brüten. Zwei wurden vorgestern bei einer Tour gesichtet, teilt mir die Rezeptionistin in der Touri-Info begeistert mit. Wir verzichten darauf, eine Tour zu buchen.
Zu Fuß gehen wir zum Strand, spazieren am Meer entlang über die Holzbrücke zur Granite Island. Die Umrundung der Insel dauert nur eine halbe Stunde. Am Tag darauf sehe ich dort einen Wal in der Ferne – meinen ersten in der Wildnis. Er ist sehr weit weg, trotzdem kann ich seine Flosse sehen, als er sich im Wasser dreht, und seine Atemfontäne. Ich bin begeistert!
Die Walsaison hat eben erst angefangen. Von Juni bis September paaren sich Südliche Glattwale und kalben vor der Küste. Victor Habor wurde 1837 als Walfangstation gegründet. Walöl war so lange ein wichtiges Exportgut, bis immer weniger Tiere kamen. 1872 zogen die Fischer den letzten Glattwal aus dem Wasser. Aborigines des Ramindjeri-Clans lebten schon lange vor der Ankunft der Europäer in der Gegend.
Über die kurvenreiche Fleurieu-Halbinsel fahren wir am Tag darauf zurück auf den Highway. Auf einer kostenlosen Fähre überqueren wir den Murray River. Der 2735 Kilometer lange Fluss ist der zweitlängste des Landes. Er versorgt unter anderem die Metropole Adelaide mit Wasser.
Mit dem Betreten des Bundesstaats Victoria verlieren wir am Nachmittag eine halbe Stunde. Australien hat drei Zeitzonen: eine westliche, eine zentrale, eine östliche. Eine Sommerzeit haben nicht alle Bundesstaaten.
Wir fahren durch die flache und schafreiche Mallee, eine Region im Westen Victorias, die bis nach South Australia hinüberreicht. In dem verschlafenen Örtchen Natimuk haben wir ein Zimmer für die Nacht gebucht. Da unsere Gastgeberin im Urlaub ist, kümmert sich ihr Mieter Danny um die Gäste. Er wohnt in einem ausrangierten Bus im Garten.
Als wir ankommen, hat er die Türe schon für uns aufgesperrt und ein Feuer im Kamin angezündet. Wir fühlen uns direkt wohl in der kleinen, schnuckeligen Wohnung, die wir an diesem Abend für uns allein haben. Nachdem wir unsere Rucksäcke ins Schlafzimmer gestellt haben, rühren wir aus zwei Avocados, einer Schalotte und ein paar Tomaten Guacamole an. Dazu rösten wir eine Handvoll Pilze. Zum Essen schauen wir Black Mirror, was uns an unsere Abende mit Markus in Kuala Lumpur erinnert.
Nach dem Frühstück fahren wir am nächsten Morgen weiter nach Halls Gap, dem Ausgangsort für Wanderungen in den Grampians. Der Forscher Thomas Mitchell wählte den Namen 1836 aus, weil ihn das Gebirge an die Grampian Mountains in Schottland erinnerte. Ich muss beim Anblick der schroffen Felsen an die Sächsischen Schweiz hinter Dresden denken.
Bis wir den Ausblick von der Spitze, „The Pinnacle“, genießen können, dauert es aber. Zweieinhalb Stunden brauchen wir vom Parkplatz in Halls Gap durch den lichten Eukalyptus-Wald, über graue Felsblöcke, Bäche und durch Steinschluchten. Die Wanderung ist anspruchsvoll und wir haben nicht genug gegessen. Entkräftet erreichen wir gegen halb drei den Gipfel. Dort setzen uns erst einmal. Unter den wachsamen Augen einer Krähe vespern wir belegte Toastbrote.
Der Abstieg dauert fast genauso lang wie der Aufstieg. Er führt über viele Metallstufen hinunter nach Halls Gap. Die Aussicht auf das Dorf und den dahinterliegenden Stausee ist atemberaubend, der Weg aber sehr anstrengend. Wir sind froh, dass wir im australischen Winter wandern, nicht im Sommer, wenn die Temperaturen bei nördlichen Winter über 35 Grad steigen.
Als wir am frühen Abend das Tal erreichen, grasen auf der Wiese neben dem Parkplatz Wallabys. Die kleinen, grauen Kängurus scheinen keine Angst vor uns zu haben. Schrittweise nähern wir uns ihnen. Sie beobachten uns aufmerksam, hüpfen aber nicht weg. „Soll ich?“ Alex versucht sein Glück: In der Hocke robbt er an eins der Wallabys heran. Er streckt vorsichtig den Arm aus. Das Tier bleibt stehen und lässt sich streicheln. Ich bin beeindruckt. Alex, der Känguruflüsterer.
Auf einer Schotterstraße voller Schlaglöcher fahren wir wenig später zum Plantation Campground. Der schöne Campingplatz liegt mitten im Wald. Umgeben von Eukalyptus- und Nadelbäumen stehen Holzbänke und -tische auf einer Lichtung, zwei Komposttoiletten gibt es auch. Mehr brauchen wir nicht. Die Übernachtung ist sogar umsonst.
Neben einer Gruppe Kängurus essen wir zu Abend. Wir haben Chili sin Carne gekocht, eine unserer Standard-Camping-Speisen. In unsere Schlafsäcke gekuschelt, frieren wir in dieser Nacht sogar weniger als während der drei vergangenen in den Zimmern.
Tags darauf fahren wir nach Portland, rund 185 Kilometer südlich. In der Einliegerwohnung von Tim und Mischelle verbringen wir drei Nächte, bevor wir uns auf die berühmte Great Ocean Road wagen. Die beiden Mitte-50-Jährigen haben das Untergeschoss ihres Hauses für ihre Kinder ausgebaut. Die sind mittlerweile aber erwachsen und ausgezogen.
Wir genießen die Ruhe auf Tim und Mischelles ländlichem Grundstück und nutzen die Zeit, um zu arbeiten. Das ist im Auto, beim Campen, oft nicht so gut möglich. Obwohl es tagsüber fast nur regnet, ist es in unserem Zimmer kuschelig warm und gemütlich. Gegenüber der Klimaanlage gewinnt ganz klar die Standheizung.