„Das macht man nicht“, knurrt die russische Zollbeamtin, als sie Ryans Reisepass durchblättert. In der Mitte des Passes klebt eine Folie voll Passfotos. Doch die Papiere sind in Ordnung. Mit einem letzten missbilligenden Blick gibt die junge Frau in Uniform Ryan seinen Pass zurück. Auch wir bekommen unsere Dokumente wieder.
Seit etwa 20 Minuten steht unser Zug an der russisch-mongolischen Grenze. Die russischen Zollbeamten kontrollieren Waggon für Waggon. In diesen befinden sich zum ersten Mal auf unserer Fahrt durch Russland fast nur Ausländer. Wir lernen ein Paar aus Deutschland kennen und eines aus den Niederlanden. Eine Gruppe Spanier sitzt etwas weiter hinten.
Wir sind mit Ryan aus Hongkong und Kamen aus Sofia im Abteil. Die beiden 19-Jährigen sind in England zusammen ins Internat gegangen. Jetzt, nach dem Abitur, reisen sie mit der Bahn von London nach Hongkong. Nicht einmal einen Monat sind sie unterwegs. Daher bleibt ihnen nur wenig Zeit für Stopps, für Blicke nach links und rechts abseits der Strecke.
Die Reise, sagt Ryan, solle eine Inspiration für spätere Reisen sein. In Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens, würde er gern noch ein paar Tage verbringen, in Moskau und am Baikalsee. Ryan, der Gewissenhafte, kümmert sich um den Ablauf und die Organisation der Reise. Während er in seinem Tagebuch akkurat die Abfahrts- und Ankunftszeiten der vergangenen Tage festhält, dabei unaufhörlich Kekse isst, liegt Kamen auf dem Rücken und starrt bleich auf die Liege über ihm. „Ich hab in Ljubljana etwas Scharfes gegessen“, sagt er. „Seitdem geht’s mir nicht so gut.“
Seit acht Stunden sitzen wir im Zug. Unsere Fahrt mit der Transmongolischen Eisenbahn beginnt um 10.15 Uhr in Slyudyanka am Baikalsee. Von dort sind es knapp 21 Stunden bis nach Ulan Bator. In der Hauptstadt der Mongolei wollen wir die Visa für China beantragen, bevor wir uns das Land ansehen, die grünen Steppen, die Yakherden und Jurten.
Um kurz vor 15 Uhr hält der Zug ein letztes Mal in Russland. Am Bahnhof von Ulan Ude investieren wir unsere restlichen Rubel in Schokoriegel. Die Landschaft, die folgt, sieht anders aus als die, die wir von Putins Heimatland gewohnt sind. Statt an Sümpfen, Birken- und Nadelwäldern rattern wir an Hügeln, Flüssen und Wiesen voll Sträucher vorbei.
Als die Sonne untergeht, haben die russischen Zollbeamten alle Wägen kontrolliert. Durch das Niemandsland hinter Russland fahren wir in die Mongolei, das achte Reiseland auf unserer Route. Es ist schon dunkel, als wir auf der anderen Seite der Grenze zum Stehen kommen. Mongolische Zollbeamte betreten den Waggon, auch sie kontrollieren unser Gepäck und unsere Reisepässe. „Close the curtain!“, ruft eine mongolische Zollbeamtin in jedes Abteil. Nachdem sie mit unseren Dokumenten verschwunden ist, setzt der Zug sich in Bewegung. Immer wieder fahren wir vor und zurück. Der Sinn des Ganzen bleibt uns verschlossen, denn umgegleist wird eigentlich erst in China. Sowohl in Russland als auch in der Mongolei fahren die Züge auf russischer Breitspur, auf 1520 Millimeter.
Um Mitternacht bekommen wir unsere Reisepässe zurück. Ohne etwas für die Einreise zu bezahlen: In der Mongolei können sich deutsche Staatsangehörige bis zu 30 Tage ohne Visum aufhalten. Mit einem Ruck nimmt der Zug die Fahrt nach Ulan Bator auf. Am offenen Fenster des Waggonflurs verfolgen wir noch eine Weile den Lauf des Blutmonds. Der Wind weht uns ins Gesicht, während wir dabei zusehen, wie das Zinnoberrot des Monds verblasst, je höher er am Himmel steht. Als wir am nächsten Morgen aufwachen, sind draußen vor dem Fenster Jurten.