Roter Planet

Unter der Erde bleibt die Temperatur immer gleich. In den unterirdischen Wohnungen von Coober Pedy sind es das ganze Jahr über 22 bis 23 Grad Celsius. Während über der Erde alle zwei bis drei Monate ein Sandsturm tobt, das Thermometer im Sommer oft mehr als 40 Grad anzeigt, brauchen die Bewohner der Erdhöhlen, der „Dugouts“, nicht einmal eine Klimaanlage.

„Je tiefer man geht, desto kälter wird es“, sagt Grant, der uns in einer Gruppe von Touristen durch eine der unterirdischen Behausungen führt. In „Faye’s Underground Home“ lebte einst Faye Nayler mit zwei Freundinnen. Drei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, eine Küche – sogar einen Weinkeller hoben die drei Frauen nur mit Schaufeln und Hacken aus. Zehn Jahre haben sie dafür gebraucht, weiß Grant. Der kleine Mann mit dem grauen Haar ist um die 70. Er kannte Faye noch persönlich.

Die Wände um uns sind weiß getüncht, die Decken niedrig, es riecht erdig. Meterlange Schächte bringen frische Luft in die Wohnräume. Fenster hat nur das oberirdische Poolzimmer. Dort wurden jahrelang sämtliche Partys der Stadt gefeiert. „Es gab lange keinen anderen Ort in Coober Pedy, der groß genug war für einen Geburtstag oder eine Totenwache“, sagt Grant. „Faye wollte kein Geld für die Nutzung des Raums – ‚lasst einfach eine Spende für die Flying Doctors da‘, hat sie immer gesagt.“

Die Küche von „Faye’s Underground Home“. Für die Mikrowelle wurde ein extra Loch gehauen.
Die resolute Faye Nayler ist bis heute eine Legende in Coober Pedy.
Im Schlafzimmer ist es drei Grad kälter als im Rest des Hauses.
Das Poolzimmer ist der einzige Raum mit Fenstern. Er liegt über der Erde.

Die resolute Faye Nayler ist so etwas wie eine Legende in Coober Pedy. 1932 wurde sie im australischen Bundesstaat Queensland geboren. Mit 29 Jahren reiste sie in die selbsternannte „Opal-Hauptstadt der Welt“ – tatsächlich kommen etwa drei Viertel aller weißen Opale aus der Gegend. In den 60er-Jahren war Coober Pedy, noch mehr als heute, ein rauer Wüstenort. Auf 60 Männer kam statistisch gesehen nur eine Frau. Seit 1915 die ersten Opale entdeckt wurden, ließen sich vor allem Bergarbeiter nieder.

Faye kochte zuerst in einem Motel, eröffnete später ein eigenes Café, das nach ein paar Jahren aber von einem Tornado zerstört wurde. Danach erschloss sie selbst eine Mine. Sie hatte Glück, stieß auf eine Opalader, war plötzlich Millionärin. Manchen frühen Bewohnern der Stadt erging es ähnlich. Nicht wenige entdeckten beim Bau oder Ausbau ihrer Wohnung Opale, sagt Grant und erzählt von einem italienischen Ehepaar, das im wahrsten Sinne des Wortes steinreich wurde, als der Mann dem jahrelangen Drängen seiner Frau endlich nachgab und ihr einen begehbaren Kleiderschrank aushob.

Fayes Schlafzimmer liegt sieben Meter unter der Erdoberfläche. Hier ist es gut drei Grad kälter als im Rest des Hauses. Ihr begehbarer Kleiderschrank ist mit Plastik ausgekleidet. In unterirdischen Wohnungen staubt es ständig. Ihre Möbel stammen noch aus den 70er-Jahren. Der Kamin im Wohnzimmer sorgt bloß optisch für Gemütlichkeit. „Die Mädels haben ihn nur einmal angezündet“, sagt Grant. „Sie haben sich beinahe selbst gekocht, so heiß wurde es in der Wohnung.“

Grant öffnet die Tür des Poolzimmers, führt uns ins Freie. „Wer hat noch eine Führung durch Fayes Opalmine gebucht?“, fragt er. Die Mine ist direkt neben der Wohnung. Inzwischen ist es nicht mehr erlaubt, im Stadtgebiet nach den Schmucksteinen zu graben. Die Sprengungen sind zu gefährlich.

Alex und ich verabschieden uns. Wir steigen in unser Auto, fahren auf den roten Schotterstraßen zur serbisch-orthodoxen und zur ältesten katholischen Kirche. Auch sie befinden sich unter der Erde. Vom Big Winch, einem Hügel im Zentrum, schauen wir uns den seltsamen Wüstenort von oben an.

„Willkommen“ steht über dem Eingang zur serbisch-orthodoxen Kirche.
Das Gotteshaus wurde 1993 ausgehoben.
Die katholische Peter-und-Paul-Kirche wurde 1967 als die weltweit erste Untergrundkirche gebaut.
Der Aussichtspunkt Big Winch ist voller Skulpturen.
Alex …
… und Diggity in Coober Pedy.

Coober Pedy liegt am Stuart Highway, der Straße, die Australiens Norden mit dem Süden verbindet. Bis zur nächsten Stadt, Port Augusta, sind es 542 Kilometer. Der Uluru, im Zentrum Australiens, ist knapp 750 Kilometer entfernt. Dort haben wir die Tage vor Coober Pedy verbracht. Wir sind durch die Berglandschaft Kata Tjuta gewandert und haben gesehen, wie der Uluru zum Sonnenuntergang rot aufleuchtet.

Am Tag unserer Abreise aus dem Uluru-Kata-Tjuta-Nationalpark nehmen wir an einer der kostenlosen Führungen teil, die von den Park-Rangern organisiert werden. Wir haben uns für den „Mala Walk“ entschieden, einen zwei Kilometer langen Spaziergang entlang der Basis des Uluru.

Linda aus Melbourne leitet unsere Gruppe an. Sie lebt seit sieben Jahren hier. Ihre langen, blonden Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sie trägt eine Sonnenbrille und einen schwarzen Fließpulli. Es ist ein kalter Morgen, ungewöhnlich kalt für Mittelaustralien, wo die Temperaturen selbst im Winter tagsüber selten unter 18 Grad fallen.

Wir folgen Linda auf einem roten Erdpfad. Aus der Nähe wirkt der Uluru zerklüftet und durchlöchert. In den Einbuchtungen des Inselbergs lebten die Aborigines vom Stamm der Anangu schon vor zehntausend Jahren.

Früher hatten die Frauen und Männer spezifische Aufgaben, sagt Linda. Während die Frauen Buschfeigen, Stachelkopfgras-Samen und Honigameisen sammelten, Brot und süße Speisen buken, erlegten die Männer Tiere wie Kängurus, Emus und drei Meter lange Echsen. Dazu nutzten sie unter anderem Bumerangs. „Anders als die Bumerangs in Nordaustralien fliegen diese hier aber nicht zu einem zurück“, sagt Linda.

Mit der Ankunft der Europäer Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich viel für die Anangu. Nachdem die Kolonialisten die Gegend landwirtschaftlich für uninteressant erklärt hatten, wurde ein Teil des heutigen Nationalparks 1920 in ein Reservat für Aborigines umgewandelt. Erst 1985 wurde den Anangu das Land, das sie seit Generationen bewohnen, zurückgegeben. Heute leben noch etwa 300 Angehörige der Anangu in einem Dorf nahe dem Uluru. Zusammen mit Parks Australia verwalten sie den Nationalpark.

Am Ende des Mala-Wegs verabschiedet Linda sich von uns. Alex und ich gehen zurück zum Parkplatz, fahren einmal um den Uluru herum. 9,3 Kilometer beträgt sein Umfang. Wir kommen schnell am Besucherzentrum an, an das ein kleines, gutes Museum anschließt.

Auf dem Mala Walk kommen wir dem Uluru ganz nah.
37 Menschen verloren auf dem Uluru ihr Leben. Seit dem 25. Oktober 2019 ist das Besteigen verboten.
Aus der Nähe sieht der Inselberg zerklüftet aus.
Der Berg rostet: Unter der rötlichen Oberfläche ist er grau. Die schwarzen Stellen zeigen, wo in der Regenzeit Wasser fließt.
Relaxander

Unterwegs nach Coober Pedy verbringen wir eine kalte Nacht auf dem Campingplatz des Erldunda Roadhouse. Nach dem Frühstück geht es auf dem Stuart Highway weiter. Am Rand der 2700 Kilometer langen Fernstraße liegen immer wieder rostige Autowracks und alte Reifen. Die Klimaanlage rattert, ohne sie wäre es zu heiß im Auto. Wir spielen Fingerbingo*, ein Spiel, das wir uns selbst ausgedacht haben, gegen die Langeweile.

Im Outback funktioniert das Radio oft nicht, der Busch um uns ist eintönig, die Straße strichgerade. Schilder warnen alle paar Kilometer vor Übermüdung – einem der häufigsten Gründe für Autounfälle in Australien. „Please arrive alive“, steht da, „Stop revive survive“ oder „Drowsy drivers die“. Jeder australische Bundesstaat hat eigene Sprüche.

32 Kilometer nördlich von Coober Pedy biegen wir vom Stuart Highway ab. Vom Aussichtspunkt The Breakaways trennen uns nur zehn Kilometer Schotterstraße. Die Klippen fallen schroff in die Tiefe. Unter uns breitet sich eine braun-rot-orange-weiß-gefleckte Ebene aus, aus der Berge ragen. Die spektakuläre Landschaft diente schon mehreren Filmen als Kulisse.

Einen davon, The Fire in the Stone (1984), schauen wir uns im Autokino Coober Pedys an. Für uns beide ist es das erste Mal. Im Clubhaus neben der Autostellfläche erkundige ich mich, wie die Übertragung abläuft. Wir sollen unser Radio auf die Frequenz FM 96,5 stellen, erklären mir die netten älteren Damen, denen Alex wenig später zwei Zitronenküchlein abkauft. Das Kino kostet keinen Eintritt, Spenden nehmen die Betreiber aber gern.

Auf den langen Fahrten im Outback vertreiben wir uns die Zeit mit Quatsch und Fingerbingo.
Die Breakaways liegen 32 Kilometer nördlich von Coober Pedy. Sie waren einst von einem Binnenmeer bedeckt.
Das Wüsten-Plateau spielte schon in Filmen wie Mad Max und Priscilla – Königin der Wüste die Hintergrundkulisse.
Das Autokino in Coober Pedy zeigt seit 1965 Filme.
Hinweis vor dem Filmstart: Sprengstoff darf nicht ins Kino gebracht werden.

Vor dem eigentlichen Film läuft eine halbstündige Doku über das Leben in Coober Pedy in den 1950er- und 1960er-Jahren. Damals kam „Herman the German“ einmal pro Woche mit einem Koffer voll Geld angeflogen, eine Bank gab es noch nicht. Ich wurstle meinen Schlafsack aus dem großen Rucksack, im Auto wird es langsam kühl. Als ich wieder auf den Bildschirm schaue, spricht Faye Nayler über die ungleiche Bevölkerungsverteilung.

Seine Blütezeit erlebte Coober Pedy in den 80ern und 90ern. „Damals konnte man um 2 Uhr nachts ein Steak essen, wenn man wollte“, sagt Mitchell Browne. Der 34-jährige Koch aus New South Wales lebt seit drei Jahren in Coober Pedy, ab und zu nimmt er Couchsurfing-Gäste bei sich auf.

Mitchell ist zufällig in der Wüstenstadt gestrandet, war eigentlich auf dem Weg nach Alice Springs, als ihm eine Stelle als Küchenchef und eine Wohnung angeboten wurden. „Die ist leider überirdisch“, sagt er. „Die Klimaanlage läuft die ganze Zeit.“

Strom, Wasser, Benzin und Lebensmittel sind im Outback sehr teuer, aber Mitchell verdient gutes Geld, gibt wenig aus, viel kann man in Coober Pedy sowieso nicht machen. Es gibt zwei Pubs und einen Golfplatz, „eine riesige Staubfläche“. Touristen können sich anschauen, wie die Bergarbeiter früher gelebt haben oder in einer der Schauminen nach Opalen buddeln, ab und zu hat jemand Glück, heißt es.

Mitchell hat noch keinen der teuren Schmucksteine gefunden, aber auch nicht danach gesucht. „Ich habe keine Zeit für sowas“, sagt er. In der Regel arbeitet er 65 Stunden die Woche. Sobald er genug Geld gespart hat, will er weiterziehen. Die wenigstens Bewohner Coober Pedys haben vor, dauerhaft zu bleiben. Immer mehr Dugouts und oberirdische Wohnungen stehen leer, vor vielen Eingängen hängt ein Verkaufsschild. Inzwischen leben nicht einmal mehr 2000 Menschen in Coober Pedy. Von den tausenden Minen außerhalb der Stadt sind viele stillgelegt, einige werden noch betrieben.

Ihre Aushübe liegen als weiße Steinhügel auf der roten Erde. Coober Pity ist umgeben von Kratern, „Kupa piti“ bedeutet in der Sprache der Pitjandjari, des lokalen Aborigine-Stammes, „Loch des weißen Mannes“. Auf uns wirkt die menschengemachte Landschaft surreal. Nachdem wir wochenlang durch das unberührte Outback gefahren sind, kommen wir uns vor wie auf dem Mars. Es überrascht uns kein bisschen, dass Filme wie Red Planet oder Pitch Black – Planet der Finsternis hier gedreht wurden. Das Wrack des ausgedienten Raumschiffs liegt bis heute gegenüber dem Supermarkt. Es war den Filmleuten wohl zu teuer, es zu entsorgen. Irgendwie, finden wir, passt es ziemlich gut nach Coober Pedy.

Ein Mural in der Innenstadt zeigt Szenen aus dem Leben in Coober Pedy.
Nicht einmal 2000 Menschen leben in Coober Pedy. Viele Häuser stehen leer.
Der Wüstenort ist umgeben von den Aushüben aktiver und inaktiver Minen.
Von oben sieht Coober Pedy aus wie eine Kraterlandschaft.
Etwa Dreiviertel aller weißen Opale stammen aus der Gegend.
Das Raumschiff aus dem Film Pitch Black – Planet der Finsternis liegt gegenüber dem Supermarkt.

*So geht Fingerbingo: Jede/r Spieler/in grüßt zehn entgegenkommende Autos mit einem Finger, den er / sie vom Lenkrad hält, oder mit der ganzen Hand (drei Joker). Erwidert der Fahrer / die Fahrerin den Gruß mit einem Finger, erhält man einen Punkt, werden zwei Finger gezeigt (Victory-Zeichen), gibt es zwei Punkte, bei einer ganzen Hand drei Punkte. Hält jemand den ganzen Arm aus dem Fenster, fünf Punkte. Generell gilt: Sind mehr als zwei Finger zu sehen, gibt es drei Punkte – wobei der Daumen nicht als Finger zählt. Entscheidet der Spieler / die Spielerin sich dazu, ein Auto nicht zu grüßen (das darf für jedes Fahrzeug einzeln entschieden werden, bis zehn gegrüßt wurden) und der Fahrer / die Fahrerin grüßt trotzdem, werden die entsprechenden Punkte abgezogen. Lastwagen, Motorräder und Fahrräder zählen nicht, nur Autos, Campervans und Wohnmobile.

  1. Die Landschaft sieht echt so surreal aus! Fast schon bedrohlich. Und können wir bitte in den USA auch ins Autokino?

    <3 deine Sorellone

    • schrittwaerts

      Ja, das war auch ein ganz seltsames Gefühl, sich plötzlich in dieser Kraterlandschaft zu befinden.
      Yessss, Drive-In pleasssse :))) <3

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert