Meine erste Rollerfahrt endet nach nicht einmal einem Meter. „Nein, das ist nicht sicher!“, ruft T., noch bevor ich das Gaspedal betätigen kann. „Du fährst noch schlechter als er!“ Mit „er“ ist Alex gemeint. Er saß vor fünf Minuten auf dem Sitz des Motorrollers, um in der schmalen Gasse vor T.s Haus zu versuchen, das Fahren zu erlernen.
„Wenn ich eine Stunde Zeit hätte, würde ich es dir beibringen“, sagt T. zu Alex. Mich ignoriert er. Aber T. hat sowieso keine Zeit, er muss zur Arbeit. Der 43-Jährige, der eigentlich Phùng Quang Tuyen heißt, sich jedoch „Tih“ nennt, um es seinen ausländischen Gästen leichter zu machen, ist Direktor der Touristeninformation der Insel Cát Bà im Nordosten Vietnams. Und unser Gastgeber. Eine Woche lang wohnen wir in einem Zimmer seines himmelblauen Hauses. T. und seine Frau haben eine 18-jährige Tochter und einen 12-jährigen Sohn sowie zwei Katzen und eine Hündin namens „Weekend“. Sie bellt jedes Mal sehr laut, wenn sie uns sieht und weckt uns, zusammen mit den Nachbarhunden, schon um 6 Uhr morgens auf.
Da T. auch Alex‘ Fahrkünste für „nicht sicher“ hält, entscheiden wir uns, den Roller stehen zu lassen, stattdessen mit dem Taxi zur Hospital Cave und zum Nationalpark in der Mitte der Insel zu fahren. „Vietnam ist sowieso nicht das geeignetste Land für Motorroller-Anfänger“, sage ich. „Der Verkehr hier ist verrückt“, stimmt T. mir zu. „Jeder will am schnellsten sein. Für Leute, die noch nie Roller gefahren sind, ist das gefährlich.“
Er ruft einen Freund an, der uns in seinem Taxi fahren soll. 20 Minuten später kommen wir an der Hospital Cave an. Die Höhle an der Straße zum Nationalpark diente während des Vietnamkriegs als Krankenhaus und strategischer Treffpunkt für hochrangige Offiziere des Vietcong. Von 1963 bis 1965 wurde sie mit chinesischer Unterstützung ausgebaut.
Eine Treppe aus Beton führt am Regenwald vorbei zum Höhleneingang, wo ein junger Mann die Tickets kontrolliert und uns ins Innere begleitet. Die Luft ist stickig, es riecht modrig. Im ehemaligen Kinosaal tropft Wasser von der Decke in einen Eimer. In manchen der 17 Räume veranschaulichen lebensgroße Puppen, wie die Hospital Cave einst genutzt wurde: Einige sitzen in Uniform an einem Tisch, andere liegen auf einer Holzbahre.
Mit dem Taxi geht es weiter zum Nationalpark. Bereits 1986 wurde das 263 Quadratkilometer große Schutzgebiet eingerichtet, in dem unter anderem Schwarze Riesenhörnchen, Makaken und Nashornvögel leben. Eine Stunde wandern wir zu einem Aussichtspunkt. Der Aufstieg ist trotz der geringen Höhe schweißtreibend, die Luftfeuchtigkeit lässt den Puls nach oben schnellen. Doch die Anstrengung lohnt sich: Auf dem Gipfel des Ngu Lam erwartet uns ein 360-Grad-Blick auf den Dschungel und die kegelförmigen Karstberge. Erst am Horizont geht ihr dunkles Grün in Blau über.
Das Wasser vor der Insel erkunden wir am Tag zuvor bei einer Bootstour. Die Lan-Ha-Bucht mit ihren rund 400 Kalksteininseln gehört wie die benachbarte Halong-Bucht seit 1994 zum UNESCO-Weltnaturerbe, ist aber weniger bekannt und somit auch etwas weniger überlaufen.
Um 8 Uhr morgens treffen wir die anderen Tour-Teilnehmer an der Promenade von Cát Bà Town, der einzigen Stadt der Insel. Im Minibus fahren wir zum Hafen. „Folgt mir, sonst landet ihr noch auf einem Boot nach China“, scherzt Reiseleiter Thang Nguyen Minh, der sich Tom nennt.
Während das zweistöckige Holzboot langsam aus dem Hafen tuckert, berichtet der 27-Jährige von den schwimmenden Fischfarmen der Bucht, auf denen etwa 4000 Menschen leben. Wie viele andere Länder habe auch Vietnam ein Problem mit der Überfischung, erklärt Tom. Noch vor einigen Jahren nutzten viele Fischer Dynamit und Strom bei ihrer Arbeit. Das sei inzwischen verboten. Doch für die Fischer werde es immer schwieriger, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Das Boot schaukelt über die Wellen, passiert unbewohnte Felseninseln, auf denen Sträucher und Palmen wachsen. Eine halbe Stunde später legt es an einer der künstlichen Inseln an. Nur wenige Häuschen mit Dächern aus Metall stehen auf den Holzbrettern, die wiederum auf großen, blauen Plastiktonnen auf dem Wasser treiben. Der Großteil der Insel besteht aus viereckigen, mit Netzen überspannten Becken, in denen Königsfische, Rote Schnapper und Zackenbarsche schwimmen.
Die Fischer schauen belustigt zu, wie wir Touristen ungelenk auf den Brettern balancieren. „Manche von ihnen verbringen fast ihr ganzes Leben auf dem Wasser“, sagt Tom. Dabei müssen sie auf überraschend wenig verzichten: Fünf bis sechs Familien teilen sich einen Stromgenerator, fast alle haben Fernsehen, einige sogar eine Karaoke-Anlage. Nur Internet gebe es noch nicht, sagt Tom.
Es ist kühl an diesem Morgen. Die Sonne versteckt sich hinter dichten, grauen Wolken. Zurück auf dem Sonnendeck lässt uns der Wind frösteln. Beim ersten Badestopp trauen sich nur ein paar Mutige ins Wasser. Über die Reling des Sonnendecks springen sie etwa drei Meter in die Tiefe. Alex und mir ist es zu kalt, wir bleiben oben.
Den Kajak-Ausflug dagegen machen wir mit. Mit Schwimmwesten ausgestattet setzen wir uns in eins der schmalen Boote. Im Takt paddeln wir wenige Minuten später durch eine Höhle in eine Lagune. Zwischen den tiefhängenden Stalaktiten klammern sich Fledermäuse an die Decke.
Fast lautlos gleiten die Kajaks über das türkisgrüne Wasser. Umringt von hochhaushohen Felsen, auf denen der Urwald wuchert, verteilen sich die Boote schnell in der Lagune. Ein sanftes Plitsch-Platsch beim Eintauchen der Paddel, gedämpfte Unterhaltungen, Vogelgezwitscher in der Ferne, sonst nichts. Stille.
Dann schreit irgendwo ein Affe. Einige Hundert Meter entfernt schimmern sein schwarzes Fell und der helle Kopf durch das grüne Dickicht. Auf dem Baum neben ihm sitzen zwei weitere Affen. „Ihr habt Glück“, sagt Tom. „Goldkopflanguren kommen nur auf den Inseln von Cát Bà vor. Und auch hier leben nur noch 60 oder 70 von ihnen.“
Langsam fahren wir an den steilen Felswänden vorbei, beobachten, wie sich die Affen kreischend von Ast zu Ast schwingen. Bis Tom zum Aufbruch ruft: Es ist an der Zeit, nach Cát Bà zurückzukehren.
Gegen 17.30 Uhr legt das Boot im Hafen an. Mit dem Minibus geht es zurück zur Promenade. Noch ein paar Selfies zum Abschied, dann löst sich die Gruppe auf, verteilt sich in dem kleinen Städtchen.
Cát Bà Town wird von vielen Urlaubern als hässlich bezeichnet. Tatsächlich schießen seit Jahren immer mehr Hochhäuser in die Höhe. Die wenigen Straßen gehören, wie fast überall in Vietnam, den Rollerfahrern. Es ist definitiv nicht der beste Ort, um das Rollerfahren zu erlernen.